top of page
AutorenbildKornelia Schmid

Ich werde von allen missverstanden – High Fantasy mit komplexen Charakteren

Aktualisiert: 4. Jan.

Spätestens seit "Game of Thrones" sind Antiheld:innen oder moralisch fragwürdig handelnde Figuren in der High Fantasy und Low Fantasy angekommen. Das ist insofern ein Vorteil, als dass solche Figuren oft wesentlich mehr Komplexität besitzen als klassische Held:innen. Welche Bücher und Buchreihen mit verschiedenen Perspektiven arbeiten und den Protagonisten dabei echte Tiefe zugestehen, stelle ich hier vor.


High Fantasy Bücher Buchtipps Buchreihen Reihen Trilogie Empfehlungen Tipps

Aus Autor:innensicht ist es keineswegs einfach, Figuren mit Tiefgang zu erschaffen. Denn selbst, wenn sie ausführlich entwickelt wurden – glaubhaft werden sie nur, wenn es der Text auch schafft, ihnen eine einzigartige Erzählstimme zu verleihen. Gerade in Büchern mit mehreren Perspektiven kann man sehr gut sehen, ob die verschiedenen Kapitel sich durch ihren Ton (nicht aber durch ihren Stil unterscheiden). Und manchmal tun sie das.


Charaktere mit Tiefgang Charaktertiefe ambivalente

Wenn es um komplexe Charaktere geht, ist George R. R. Martins "Das Lied von Eis und Feuer" inzwischen nahezu ein Klassiker. Figuren wie Tyrion Lannister sind weder gut noch böse und bleiben definitiv in Erinnerung. Leider sind aber nicht alle Charaktere derart ambivalent: Eddard Stark ist wohl eindeutig gut und Joffrey Baratheon durchgängig böse. Das stört nun aber nicht großartig, irgendwie nimmt man es den beiden ab.


Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass ich ein gespaltenes Verhältnis zu den Büchern habe. Für mich gibt es einige ausgesprochen fragwürdige Darstellungen insbesondere was Frauen und weibliche Sexualität betrifft (es gibt beispielsweise eine Figur, die sich in ihrer Vergewaltiger verliebt – NoGo!). Auch, dass Gewalt in erster Linie um des Ekel- und Schockeffekts willen eingesetzt wird, finde ich problematisch. Andere Dinge wie eben die Figurendarstellung machen die Romane aber ziemlich gut und auch die Art und Weise, wie die Erwartungen der Rezipient:innen gebrochen werden, bleibt im Gedächtnis. Leser:innen mögen sich also selbst ein Bild machen.


Low Fantasy Grimdark Antihelden Humor zynisch

Joe Abercrombies "Klingen-Reihe" ist für mich ebenfalls ein Paradebeispiel, wenn es um gelungene ambivalente Figuren geht. Auch hier bewegen sich die Charaktere moralisch eher im Graubereich, ohne dabei aber unsympathisch zu werden (das gilt bemerkenswerterweise sogar für den folternden Inquisitor). Jede Figur hat ihre eigene Art zu denken und zu sprechen, was sich auch im Sprachstil der jeweiligen Kapitel niederschlägt. Zudem gibt es viel Ironie und Reflexion menschlicher Beweggründe. Für mich eine lesenswerte Reihe (wenngleich die spätere Trilogie "Zauberklingen" - "Friedensklingen" - "Silberklingen" ein wenig schwächer ausgefallen ist). Wer Scheu vor Blutvergießen hat, sollte aber wohl dennoch lieber die Finger davon lassen.


Fantasy viele Perspektiven Perspektivträger verschiedene Sichten

In Brian McClellans "Powder-Mage-Chroniken" geht es dem Namen entsprechend um Schießpulver mit entsprechendem vom späten 18. bis frühen 19. Jahrhundert inspirierten Setting, aber auch um Intrigen, Militär, Krieg und Götter. Die Figuren sind ausgearbeitet und einprägsam – das gilt auch für Nebenfiguren ohne eigene Perspektive. Schön ist dabei auch, dass ein Protagonist über 60 Jahre alt ist. Figuren in diesem Alter stehen in Fantasyromanen selten im Mittelpunkt – hier aber tun sie es. Vor allem ab dem zweiten Band geht es sehr viel um das konkrete Kriegsgeschehen bzw. Militärstrategie – die Reihe sollten also nur Leute lesen, die genau das auch mögen. Gewalt wird dabei aber nicht ausgeschmückt. Trotz der Kriegsthematik würde ich das Buch deswegen nicht unbedingt als düster bezeichnen.


Epische Fantasy für Erwachsene Magie Lesetipps komplexe Fantasy

Auch Brandons Sandersons Bücher um die Nebelgeborenen haben inzwischen beinahe Klassiker-Status. Neben dem ausgeilten Magiesystem sind auch die Figuren in der Tiefe gestaltet und zeigen dabei Ambivalenz. Die Buchreihe ist spannend und beschäftigt sich dabei auch mit Revolution und Religion – und letztlich dann auch mit der Rettung der Welt, wenn vielleicht auf eine andere Art und Weise, als man erwarten würde. Auch hier entspricht das Setting nicht dem Mittelalter. In den späteren Büchern hat sich die Welt zudem entwickelt und ist in die Industrialisierung eingetreten – insofern ist auch das Setting nicht breitgetreten und schon allein dadurch lesenswert.


Natürlich schafft es Sanderson auch in seinen anderen Romanen, Figuren glaubhaft und ambivalent zu entwickeln. Auch die "Sturmlicht-Chroniken" sind lesenswert, die "Nebelgeborenen-Reihe" ist in meinen Augen aber stärker.


Buchtipps Buchempfehlungen Buchbesprechung Rezension High Fantasy

Ich muss gestehen, die "Nachtengel-Trilogie" von Brent Weeks mochte ich nicht sonderlich: zu unausgereift, zu verworren, merkwürdige Charaktere. Und ich muss auch gestehen, in der Regel tun sich Autor:innen danach schwer, bei mir wieder einen Fuß in die Tür zu bekommen. Doch eine Freundin hat mir die "Licht-Saga" ans Herz gelegt, also habe ich dem Autor noch einmal eine Chance gegeben. Meine Meinung: Zwischen den beiden Reihen liegen Welten. Die Kinderkrankheiten der ersten Trilogie sind nun ausgemerzt und es ist eine Reihe mit überzeugenden Charakteren und einem durchdachten Magiesystem entstanden. Den Figuren durch diese Welt des Lichts und der Farben zu folgen, war durchweg spannend.


High Fantasy Reihe Kämpfe Schlachten blutig Kriege

Was Peter V. Bretts "Dämonen-Zyklus" betrifft, habe ich das erste Buch "Das Lied der Dunkelheit" noch gerne gelesen: Die Figuren sind ausgearbeitet, das Setting interessant. Allerdings lässt die Reihe in meinen Augen von Band zu Band sowohl inhaltlich als auch handwerklich nach, sodass ich mir den Abschluss der Reihe gespart (und es tatsächlich auch nie bereut) habe. Hinzu kommt ein in meinen Augen ausgesprochen fragwürdiges Frauenbild: Die weiblichen Figuren sind oftmals nur zu erpicht darauf, sich patriarchalen Strukturen zu unterwerfen (eine Figur will unmittelbar nach einer versuchten Vergewaltigung mit ihrem Retter Sex; eine andere nutzt einen einzigartigen mächtigen Zauber, um ihre Jungfräulichkeit für ihren künftigen Ehemann wiederherzustellen). Natürlich gibt es in der Realität genau solche Frauen – aber wer einen Roman darüber schreibt, hat die Wahl, sie lautstark zu Wort kommen zu lassen oder aber solche Charaktere zu erschaffen, die tatsächlich stark sind und gegen die Diskriminierung und andere Widrigkeiten ankämpfen. Zwar gibt es Szenen, in denen manche Frauenfiguren sich stark zeigen – das wird jedoch schnell wieder zunichte gemacht, wenn sie sich schon in der nächsten Textstelle in ihren Wünschen und Bedürfnissen den männlichen Charakteren komplett unterordnen. Auch hier möchte ich aber niemandem den Spaß am Lesen absprechen: Man möge sich selbst ein Bild machen, denn – und deswegen steht das Buch auch an dieser Stelle – über weite Strecken ist die Ausarbeitung der Figuren durchaus spannend.


Gauner Schurken Diebe Fantasy Low Fantasy

Die Figuren in "Das Lied der Krähen" von Leigh Bardugo sind eigentlich gut ausgearbeitet. Vor allem Kaz Brekker ist eine interessante und ambivalente Figur mit schwieriger Vergangenheit. Es gibt nur ein Problem: Die Charaktere sind also 16 bzw. höchstens 17 Jahre alt und damit furchtbar jung für so viel Vorgeschichte, so viel Entwickelung, so viel extremes Können. Denn minderjährige Genialität rottet sich hier zufällig auf einem Haufen zusammen, wie in der Realität nur selten. Plausibel ist das in meinen Augen überhaupt nicht. Und leider schwächelt der Roman auch im Bereich der Handlung und Struktur immer wieder ein wenig an der Logik. Wer hierauf großen Wert legt, sollte deshalb vielleicht nicht zu dem Buch greifen. Wer da auch einmal ein Auge zudrücken und die Konstellation einfach so hinnehmen kann, kann bestimmt den Figuren gerne durch die Geschichte folgen.


deutsche High Fantasy deutsche Autoren Autor Autorin

Nach all den internationalen Titel besteht hier nun allmählich dringender Bedarf nach deutschsprachigen Autor:innen. Rafaela Creydts "Der letzte Winter der ersten Stadt" ist ein Einzelband mit nur zwei Perspektiven – diese überzeugen aber rundum. Hinzu kommt ein ausgefeiltes Wordbuilding, das viele Bilder im Kopf entstehen lässt und eine spannende Handlung mit dramatischem Ausgang. Das Buch ist mir deshalb im Gedächtnis geblieben und hätte mehr Aufmerksamkeit verdient.









High Fantasy Tipps Intrigen Dynastien Königshäuser

Was natürlich auf gar keinen Fall fehlen darf: Bei meiner Trilogie "Herrscher des Lichts" ging es von Anfang an darum, komplexe Figuren in den Mittelpunkt zu stellen. Die Charaktere sind moralisch grau und wenn man sie aufeinander loslässt, ergeben sich zwangsläufig eine Menge Konflikte. Sie entwickeln sich bis zum Ende von Band 3: Manche bekommen das, was sie wollen, aber nicht brauchen. Andere bekommen das, was sie brauchen, aber nicht wollen. Dazwischen gibt es natürlich auch noch Magie, Intrigen und Kriege.


Comments


bottom of page