Wenn meine Nachbarn kochen, riecht es nach Fisch. Immer. Mittags genauso wie abends. Sie scheinen sich nur von Fisch zu ernähren. Warum, frage ich mich. Haben Fische ihre Eltern umgebracht und jetzt müssen sie jeden Fisch vernichten, der ihnen unter die Nase kommt? In somanchem Roman oder auch mancher Pen-&-Paper-Kampagne wäre das die plausibelste Erklärung. Aber sehen wir uns die Sache mit den Backgroundstorys doch lieber noch einmal genauer an.
Egal, ob Kurzgeschichte, Roman oder Dungeons & Dragons Kampagne: Diese fünf Backgroundstorys sind euch bestimmt schon untergekommen – wahrscheinlich sogar öfter als einmal. Und um schon einmal vorauszugreifen: Sie sind nicht gut. Warum? Erstens, weil sie so oft vorkommen, dass jeder sie kennt. Zweitens, weil sie nicht in die Tiefe gehen, sondern nur den Anschein zu erwecken versuchen. Und drittens, weil sie über das Ziel hinausschießen: Sie sind übermäßig dramatisch und wenig realistisch.
1. Der tragische Tod der Familie
Einst hatten sie liebevolle Eltern, Ehefrauen oder Ehemänner und Kinder. Doch sie wurden abgeschlachtet. Von bösen Orks. Oder anderem Pack. Fischen vielleicht. Jetzt sind sie gebrochen, verbittert und haben Rache geschworden. Und die werden sie bekommen: Kein Ork oder Fisch darf am Leben gelassen werden, wenn er ihnen über den Weg läuft. Sie sind dramatisch. Und hart.
Diese Hintergrundgeschichte muss oft für gewollt ambivalente Helden oder auch für Bösewichte herhalten, um ihr moralisch fragwürdiges Handeln zu erklären. Die tragische Vergangenheit soll nicht nur interessant machen, sondern auch den Anschein von Tiefe erzeugen. Aber es ist aben nur ein Anschein: Für echte Tiefe brauchte es schon ein wenig mehr als nur einen tragischen Hintergrund.
2. Das auserwählte Waisenkind
Sie wissen nicht, wer sie sind und woher sie kamen. Ihre Eltern haben sie nie kennen gelernt. Zumindest haben sie meistens liebevolle Adoptiveltern, die es ihnen ermöglichen, einen guten Charakter auszubilden. Und sie sind auserwählt. Denn durch ihre Adern fließt mächtiges Blut. Irgendwann werden sie das Geheimnis ihrer Abstammung aufdecken. Und dabei am besten noch nebenbei die Welt retten.
Diesen Klassiker findet man oft in High Fantasy Jugendbüchern. Coming of Age bedeutet hier gleichzeitig, zur strahlenden Held:in zu werden. Aber natürlich findet man auch in somancher Pen & Paper Kampagne diesen Typus. Ob dann allerdings die Welt gerettet wird – das hängt von der Gunst der Spielleiter:in ab.
3. Die vom Volk Verstoßenen
Einst lebten sie in der Gemeinschaft. Doch sie waren anders und ihnen wurde Unrecht getan. Eine Intrige, ein Missverständnis oder ein schlichtes Versehen führte dazu, dass sie von ihrem Volk verstoßen wurden. Das hat sie innerlich tief verwundet und nun ziehen sie heimatlos umher und wissen nicht, wo sie hingehören. Nach außen mögen sie hart wirken, doch eigentlich ist da doch ein weicher Kern, der sich nur nach Liebe und Akzeptanz sehnt. Sie wollen zurück in die offenen Arme ihres Volks – und dieses Happy End könnten sie auch bekommen, hätten sie zu dem Zeitpunkt nicht schon eine neue Wahlfamilie gefunden.
Die Ausgestoßenen sind manchmal gut, manchmal böse. Das Paktische: Diese Nomaden kann man in quasi jedes Setting einbauen, schließlich müssen sie sich nicht im Habitat ihres Volks aufhalten. Wahrscheinlich verlockt es deshalb so sehr, sie in Romanen oder Pen & Paper Abenteuer auftreten zu lassen.
4. Das Leben auf der Straße
Sie hatten es als Kinder nicht einfach: Die Eltern sind tot (wieder einmal), aber sie wurden von keiner Familie aufgenommen. Stattdessen müssen sie sich allein durchschlagen. Sie landen auf der Straße und die schmiedet sie hart. Im Schmutz blühen sie erst richtig auf. Sie werden geschickt, gerissen, abgebrüht.
Das ist der typische DnD Schurke, nicht wahr? Oder aber die Hintergrundgeschichte eines jeden Diebs und Gauners in einem Roman. Weil Dieb und Gauner wird man ja bestimmt nur, wenn man einmal ein Straßenkind war. Wie auch sonst?
5. Die heroische Berühmtheit
Sie haben viele Jahre an der Akademie studiert. Sie haben mit ihrer Magie Großbrände gelöscht, Flutkatastrophen abgewehrt und Wirbelstürme aufgehalten. Sie haben sich Armeen entgegengestellt. Sie haben Könige beraten. Sie haben die ganze Welt bereist und sind überall für ihre Heldentatenn berühmt. Und abgesehen davon: Sie sind in der Pen & Paper Kampagnenwelt auf Level 1.
Diese Wunderkinder sind nicht immer Kinder. Aber sie sind am Anfang der Geschichte bzw. der DnD Kampagne schon voll entwickelt und blicken auf eine reichhaltige Vergangenheit zurück. Sie sind das, was ihre Erschaffer:innen wahrscheinlich gerne wären: die perfekten Helden. Was besagten Erschaffer:innen aber wahrscheinlich nicht bewusst ist: Sie sind so ziemlich die langweiligsten Charaktere, die man sich überhaupt ausdenken kann. Denn ohne Schwächen gibt es auch kein Entwicklungspotenzial und damit nichts, was uns ihnen gerne folgen lässt.
Dramatik ist verboten?
Wer sich nun ertappt fühlt – grämt euch nicht deswegen. Ich habe selbst schon einige Elemente aus diesen Narrativen verwendet. Wichtig ist es, die Balance zu finden und sie nicht zum Klischee verkommen zu lassen. Vielleicht wurde die Familie umgebracht, aber die Figur ist nicht auf Rache aus, sondern in den Tempel gegangen und hat ihren Frieden damit gemacht. Vielleicht hat eine Figur eine geheime Abstammung – doch sie macht sich nichts daraus und verweigert sich ihrer Bestimmung. Vielleicht ist eine Figur tatsächlich auf der Straße aufgewachsen – aber ist dadurch eben nicht kriminell und verwegen geworden, sondern erfreut sich nun harmonischer Häuslichkeit. Seid dramatisch, wo es nötig ist. Aber seid euch bewusst, dass die leisen Töne, richtig angewendet, manchmal viel effektvoller sein können.
Übrigens: Meine Methode, Charaktere mit Tiefgang zu entwickeln, beschreibe ich hier: https://www.kornelia-schmid.de/post/fiktive-charaktere-entwickeln.
Comentarios