Die Handlung meines Debütromans "Das Licht aus dem Nebel" wird aus sieben verschiedenen Perspektiven erzählt. Das ist zwar weniger als in "Das Lied von Eis und Feuer" alias "Game of Thrones", aber immer noch mehr als in den meisten anderen Romanen. Wie man die verschiedenen Fäden zusammenführt, ohne sich dabei das Hirn zu verknoten, erfahrt ihr hier.

Gerade im Bereich "High Fantasy" oder "Epische Fantasy" gibt es viele Romane, die aus mehreren Perspektiven erzählt sind. Das liegt sicher daran, dass sich dieses Genre oft nicht mit Einzelschicksalen, sondern mit den Schicksalen von Völkern, ganzen Reichen oder gar Welten beschäftigt. Da kann ein solcher Rundumschlag durchaus Sinn machen.
Braucht es so viele Handlungsstränge?
Doch Genrekonventionen hin oder her: Am Anfang muss immer die Frage stehen, welche Perspektiven dem Text tatsächlich dienen und welche ihn nur unnötig strecken. Ich hatte am Anfang tatsächlich noch mehr Figuren und habe fleißig ausgedünnt – dem Roman hat es gutgetan.
Warum sind es trotzdem sieben Perspektiven geworden? Weil am Anfang meines Textes kein konkreter Plot, sondern vielmehr ein Beziehungsgeflecht stand. Viele meiner schreibenden Kolleg:innen werden hier anders vorgehen. Meist steht am Anfang die Idee einer Handlung und für diese werden passende Handlungsträger ausgewählt. Das ist auch vollkommen legitim – am Ende wird eben ein anderes Buch dabei herauskommen, das wiederum auf einen anderen Lesegeschmack zielt als mein Vorgehen.
Schreiben mit Plan
Im Autorenumfeld fallen oft Begriffe wie "Bauchschreiber" oder "Kopfschreiber". Viele definieren sich als eines von beiden, andere sehen sich irgendwo in der Mitte. "Bauchschreiber" bedeutet dabei vor allem ein intuitives Schreiben: die Handlung entwickelt sich spontan im Schreibprozess weiter und wird später bei der Überarbeitung ausdifferenziert und angepasst. "Kopfschreiber" hingegen planen die gesamte Handlung vor dem tatsächlichen Schreibbeginn. Hier dürfte es weniger Überraschungen geben. Dafür ist die Überarbeitung im Anschluss weniger aufwändig. Keine der beiden Herangehensweisen ist besser oder schlechter und auch vielen Texten merkt man am Ende nicht mehr an, wie sie entstanden sind. Dennoch bin ich mir sicher: Wenn die Romanhandlung aus mehr als drei Perspektiven erzählt wird, wird der Bauch nicht mehr damit fertig werden. Um sich nicht zu verheddern, braucht es im Vorfeld Planung.
Ist Planen nicht langweilig? Das ist sicher Geschmacksfrage. Vielleicht macht mir das eigentliche Schreiben tatsächlich mehr Spaß. Aber dass ich mich dafür begeistern kann, liegt sicherlich auch daran, dass ich weiß, wo die Reise hingeht und entsprechend motiviert bin, sie tatsächlich anzutreten.
Schritt für Schritt
Im ersten Schritt stand bei mir die Entwicklung der Figuren, ihres Beziehungsgeflechtes und der sich daraus ergebenden Handlung (wie man Charaktere erstellt, lest ihr übrigens hier). Natürlich habe ich an dieser noch gefeilt und das passende Setting dazu konzipiert.
Im Anschluss habe ich für jede Figur ihren eigenen Handlungsbogen skizziert. Dabei musste ich natürlich prüfen, ob dieser für sich genommen auch funktioniert: Passiert genug, damit es spannend bleibt oder flacht die Kurve an manchen Stellen ab? Entsprechend gab es hier weitere Anpassungen. Diese Skizzen wurden dann in konkrete einzelne Kapitel bzw. Szenen aufgeteilt.
Die Kapitelabfolgen der einzelnen Figuren nebeneinander zu stellen, half mir, herauszufinden, wo genau die Überschneidungen sind. Bestimmte Verknüpfungen habe ich deshalb stärker herausgearbeitet. Bei zu großer Deckungsgleichheit musste ich entschieden, von welcher Perspektive das jeweilige Kapitel mehr profitiert und welche gestrichen wird.
Schließlich noch einmal richtig Arbeit: Alle Kapitel wurden in eine sinnvolle Reihenfolge gebracht. Dabei ist natürlich zu berücksichtigen, wer sich zu welchem Zeitpunkt wo aufhält, wer sich wann begegnet, wer wann welche Informationen zur Verfügung hat usw. Und das hat zunächst einmal nicht funktioniert.
Das Hintergrundwissen entscheidet
An dieser Stelle hat mir ein genialer Trick geholfen: Ich habe einen Kalender eingeführt. Während ich vorher nur vage wusste, welche Jahreszeit gerade ist, wurde nun jedes Kapitel akribisch einem Tag und Monat zugeteilt. Dadurch wusste ich beispielsweise immer, welches Wetter im Moment im Roman ist: Wenn bestimmte Szenen am selben Tag zu einer ähnlichen Zeit spielen, sollte es auch bei allen regnerisch sein (oder eben nicht).
Welche Entfernungen Städte zueinander haben und wie lange die Reisezeiten entsprechend sein müssen, hatte ich bereits vorher definiert. Jetzt konnte ich das Ganze aber auch ganz konkret darstellen und wusste entsprechend, welche Zeiträume ich für die Handlung benötige und welche Begegnung aufgrund räumlicher Distanzen überhaupt nicht möglich sein können.
Solche Dinge werden im fertigen Text nur bedingt sichtbar und den meisten Lesenden entgehen. Das ist aber auch in Ordnung, denn am Ende kommt es nur darauf an, ob Konsistenz geschaffen wurde oder nicht. Ein Text, egal ob Roman oder Kurzgeschichte, ist immer nur die sichtbare Spitze des Eisbergs.
Flexibel bleiben
Nun ging es an den Schreibprozess und damit kam auch die Erkenntnis: meine Planung war nicht immer perfekt. Manchmal ergeben sich dann doch neue Verwicklungen oder es werden Lücken sichtbar, die vorher nicht zu erkennen waren. Dann muss es natürlich möglich sein, sinnvoll zu intervenieren. Mit Hilfe meiner gut sortierten Tabellen, war das aber nie ein Problem. Insgesamt bin ich zu etwa 90 Prozent meiner Gliederung treu geblieben.
Ein entspannter Schreibflow
Ich fasse zusammen: Ich bin Kopfschreiberin aus Überzeugung. Dieses Vorgehen erspart mit aufwändige Überarbeitungen und ich lande damit niemals in Sackgassen. Es hat auch den Vorteil, dass ich nicht chronologisch schreiben muss – ich schreibe einfach immer das Kapitel, auf das ich gerade Lust habe, egal wo im Roman es sich befindet. In der Regel beginne ich zwar schon mit dem Anfang, danach kommt aber direkt das Ende und schließlich alles andere dazwischen. So etwas wie Schreibblockaden gibt es bei mir nicht (ehrlicherweise halte ich die ohnehin für einen Mythos). Ich folge entspannt meinem Plan und irgendwann sind alle Löcher gestopft und der Roman ist plötzlich fertig.
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