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Gibt es weibliche Werwölfe? – Werwolfvorstellungen in Zeiten der Hexenverfolgung

In der modernen Fantasy stellt sich überhaupt nicht die Frage, ob Werwölfe auch weiblich sein können. Warum auch nicht? Wer von einem Werwolf gebissen wird, wird selbst einer, egal, ob Mann oder Frau. Blickt man jedoch zurück in die Frühe Neuzeit und analysiert, wie sich die Menschen damals Werwölfe vorgestellt haben, sieht das Ganze etwas anders aus. Da müsst ihr nach weiblichen Werwölfen wirklich suchen!


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Die Idee von Werwölfen ist eng verknüpft mit der altgriechischen Vorstellung der Lykantropie. König Lykon war dem Mythos nach ein König, der von Zeus in einen Wolf verwandelt wurde – als Strafe, dass er dem Gott Menschenfleisch servierte. Auch in der altnordischen Literatur gibt es Erzählungen über Männer, die sich nächtlich in Wölfe verwandeln. In höfischen Romanen des Mittelalters kommen Werwölfe ebenfalls vor. Wirklich breitflächig verbreiteten sich Werwolferzählungen in Form von Anklageschriften aber erst in der Frühen Neuzeit.


Hexenverfolgungen in der frühen Neuzeit


Hexenprozesse sind bei vielen eng mit ihrer Vorstellung vom Mittelalter verknüpft. Tatsächlich wurden auch im Mittelalter Hexen verfolgt, aber die richtige Hochzeit war in der Frühen Neuzeit. Erst ab dem 15. Jahrhundert etablierte sich eine systematische Verfolgungspraxis, die genau jene Elemente enthält, die wir teilweise heute noch in der Popkultur finden: vom Flug auf den Besen zum Tierbegleiter bis zum Tränkebrauen. Mehr dazu findet ihr übrigens in meinem Artikel über Hexereivorstellungen: https://www.kornelia-schmid.de/post/was-ist-hexenmagie.


Warum schreibe ich nun über Hexenverfolgungen, obwohl es in dem Text doch eigentlich um Werwölfe gehen sollte? Tatsächlich sind die Vorstellungen von Hexen eng mit der von Werwölfen verknüpft. Das liegt in erster Linie an den Genderzuschreibungen dieser Zeit.


Männer als aktiv, Frauen als passiv


Im Mittelalter war man fest davon überzeugt, dass Frauen per Veranlagung passiv sind und Männer aktiv. Diesen Glauben findet man auch heute noch in vielen Lebensbereichen. In den Medien gehen damit oft bestimmte Beziehungs-"Regeln" bzw. -Klischees einher. Man findet sie nicht nur in Ratgebern, sondern auch vielfach in Liebesromanen oder -filmen: Der Mann muss immer den ersten Schritt tun, der Mann fragt nach dem Date, der Mann küsst zuerst, der Mann macht den Heiratsantrag, der Mann liegt oben. Umgekehrt natürlich: Die Frau wartet darauf, vom Mann angesprochen zu werden, auf seinen Kuss, auf seinen Heiratsantrag usw. Der Mann wählt die Frau aktiv aus, sie nimmt seine Wahl lediglich an.


Weibliche Hexen, männliche Werwölfe


Diese Vorstellung wurde in der Frühen Neuzeit natürlich auch auf Hexen übertragen: Männer wehren sich, indem sie zum Schwert greifen und ihrer Aggression freien Lauf lassen. Frauen konnten das, so die Annahme, aufgrund ihrer Weiblichkeit einfach nicht. Stattdessen agieren sie im Geheimen, spinnen Intrigen und mischen Gift. Giftmorde galten entsprechend als typisch weiblich (und natürlich ist auch das ein Narrativ, das wir heute noch zuhauf finden).


Auch Hexen schaden im Verborgenen: Sie wirken hinter verschlossenen Türen Schadenszauber, bestreichen ihre Nachbarn heimlich mit unheilvollen Salben und fliegen ungesehen durch die Nacht. Das passt dem Glauben nach nicht zu Männern. Hexen mussten also weiblich sein!


Das hieß jedoch nicht, dass Männer nicht von der Inquisition verfolgt wurden. In manchen Regionen wurden sie das, indem die typischen Hexenzuschreibungen ein wenig verändert und damit eben doch auf Männer übertragen wurden. In Norwegen beispielsweise wurden Männer der Volksgruppe der Samen oftmals als Hexer verfolgt – wenig überraschend, da die Schamanen der Samen männlich waren und als unchristliche Priester am ehesten ins Visier der Verfolgung gerieten. Im Raum Salzburg wiederum ist eine Legende vom "Zauberer Jackl" entstanden. Und weil der männlich war, richteten sich viele Hexereianklagen in dieser Region dann eben auch gegen Männer.


In anderen Gegenden wurden unliebsame Männer (oft waren sie Hirten) aber nicht als Hexer, sondern stattdessen als Werwölfe denunziert und in derselben Form angeklagt wie Frauen. Denn Männer als Werwölfe? Das schien logisch: Werwölfe sind aggressiv, greifen aktiv an, verwunden und töten mit viel Blutvergießen – typisch männlich, so die Meinung. Und entsprechend gibt es nur wenige frühneuzeitliche Erwähnungen von weiblichen Werwölfen (die in Einzelfällen natürlich sehr wohl vorkommen) gegenüber einer großen Anzahl an männlichen Angeklagten.


Werwölfe in moderner Literatur


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Die Vorstellung, dass Frauen nicht aggressiv sein und Blut vergießen können, ist uns heute eher fremd (weitgehend zumindest, denn, wie gesagt, das Klischee hält sich hartnäckig). Entsprechend steht der Idee von weiblichen Werwölfen nur wenig im Wege. Ist Lykantropie eine Krankheit, so kann sie Frauen und Männer gleichermaßen befallen. Und die Fantasyliteratur kennt neben Wölfen inzwischen auch andere Werwesen: Werbären, Werratten, Wereber – Warum nicht? Denn auch der Wolf hat heutzutage seinen Schrecken verloren und ist dadurch austauschbar geworden.


Die Anthologie "Werwolf" aus dem Sperling Verlag beschäftigt sich übrigens mit modernen Ideen von Werwölfen, unter anderem mit einer Geschichte von mir.


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