Wenn die Milch im Euter verdirbt. Oder: Was ist Hexenmagie?
- Kornelia Schmid
- 25. Apr.
- 6 Min. Lesezeit
Die Frühe Neuzeit war die Hochzeit der Hexenverfolgung. Liest man die Verhörprotokolle aus dieser Zeit gibt es ein paar Vorwürfe, die immer wieder auftauchen. Hier gebe ich einen Überblick.

Hexenverfolgungen fanden entgegen der landläufigen Meinung nicht in erster Linie im Mittelalter statt. Da waren sie eher eine Randerscheinung. Richtig los ging es damit erst in der Frühen Neuzeit im 15. Jahrhundert. Die Blütezeit war von der Mitte des 16. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts, aber auch im 18. war die Verfolgung noch gängige Praxis.
Es sind zahlreiche Prozessakten über angebliche Hexereidelikte überall aus Europa erhalten. Diese Schriftzeugnisse geben einen guten Überblick darüber, wie sich die Menschen damals Hexen vorstellten. Dabei gab es Unterschiede zwischen dem dörflichen Glauben und den Zuschreibungen, die christliche Gelehrte aufstellten. Vor allem für letztere war klar: Hexen verkehren mit dem Teufel, treiben mit ihm Unzucht und das bevorzugt auf dem Hexensabbat, einem unheiligen Fest. Sie fürchten das Weihwasser und essen auch gerne mal Babys oder verkochen diese für ihre Tränke und Salben. Aber das ist alles noch nicht wirklich magisch. Ihr spezifisches Zauberrepertoire sieht (und das wusste nun auch die Dorfgemeinschaft) so aus:
Schadenszauber
Schadenszauber sind das zentrale Tun von Hexen. Den lieben langen Tag denken sie an nichts anderes als daran, wie sie dem Teufel dienen und bei ihren Mitmenschen Unheil anrichten können. Gibt die Kuh keine Milch mehr? Die Hexe hat sicher die Milch mit einem Zauber aus dem Euter gestohlen! Wird die Milch sauer? Auch das kann nur das Werk einer Hexe sein. Bekommt man eine Krankheit? Hexen. Eine Fehlgeburt? Hexen. Eine verdorbene Ernte? Hexen. Ja, sogar Raupen, die die Kohlköpfe wegfressen, können Hexen angeblich beschwören. Und in Eier zaubern sie direkt den Teufel hinein.
Wusstet ihr übrigens, dass das der Grund ist, warum Eier gesalzen werden? Ursprünglich ging es dabei nicht um den Geschmack, sondern um die Teufelsabwehr. Salz galt wegen seiner weißen Farbe als besonders rein und damit bestens geeignet, das Böse zu bekämpfen. Auch Brezeln wurden deswegen mit Salzkörnern bestückt. Denn ursprünglich handelt es sich dabei um ein Fastengebäck – und in der Fastenzeit waren Menschen besonders anfällig für das Wirken dunkler Mächte. Andere Brote hingegen sind in der Regel hexensicher – Brot wurde mit Christus assoziiert, da dieser beim letzten Abendmahl mit seinen Jüngern das Brot brach und Brot auch in der Kirche zur Eucharistie gereicht wurde (anstelle der heute üblichen Hostie). Brot war deswegen weniger geeignet für unheilige Einmischungen. Und ganz real war es wohl einfach so, dass Brot schlechter verdarb als tierische Produkte wie eben Eier oder Milch und es entsprechend weniger Anlässe gab, hier nach Schuldigen zu suchen.
Wetterzauber
Wenn Hexen die Kohlköpfe nun nicht durch Raupen vernichten, dann verändern sie eben das Wetter. Sie wirken einen Zauber oder sie kochen diesen in ihren Kesseln zusammen und lassen ihn in die Welt frei. Oft handelt es sich dabei um einen plötzlichen Hagelsturm, der die Felder beschädigt. Aber auch Dürren oder verfrühte Wintereinbrüche sowie Schneefälle und Frost im Frühling können Hexen verursachen.
Natürlich ist uns heute klar, dass hier Hexen (genau wie bei den Schadenszaubern) einfach für jedes Unglück verantwortlich gemacht wurden, dass einzelne Personen sowie die ganze Gemeinschaft befiel. Und weil die Ernte bedeutsam fürs Überleben war, sind auch Wetterzauber ein ganz zentraler Bestandteil von Hexenmagie.
Die Zeit der Hexenverfolgungen fällt mit der Kleinen Eiszeit in Europa zusammen. Diese sorgte für lange und besonders kalte Winter ebenso wie regenreiche Sommer. Es konnte also über einen längeren Zeitraum wegen Kälte nichts angebaut werden und wenn die Felder erst einmal Ähren trugen, verfaulten diese oft wegen der übermäßigen Nässe. Mangelernährt waren dadurch nicht nur die Menschen, sondern auch das Vieh, was wiederum ein Grund für beispielsweise die schlechte Milchqualität und die in diesem Zusammenhang unterstellten Schadenszauber war. Das alles dürfte dazu beigetragen haben, dass die durch Missernten und Hunger gebeutelte Gesellschaft durch die Verfolgung angeblich Schuldiger ein Ventil suchte.
Zaubersalben
Natürlich kennen wir alle die Vorstellungen von Hexen als Kräuterweibern. Tatsächlich kommt dieses Bild in den Prozessakten gar nicht mal so häufig vor, wie man meinen möchte: Oft waren Hexen einfach ganz normale Frauen, keine Heilkundigen. Doch egal, ob sie nun Vorkenntnisse haben oder nicht: Salben herzustellen liegt ihnen gut. Diese Salben benutzen sie entweder, um dadurch ihren Nachbarn zu schaden, indem sie sie ihnen auf die Haut streichen. Oder sie wenden sie bei sich selbst an, um beispielsweise fliegen zu können.
Fliegen
"Fliegen" ist auch das richtige Stichwort: Heute kennt man vor allem besenreitende Hexen, aber eigentlich können sie auch auf Ofengabeln, Kochlöffeln, Butterfässern oder allen möglichen anderen Gegenständen fliegen. Denn oft entsteht die Flugfähigkeit dieser Objekte erst durch das Auftragen besagter Flugsalbe. Manche Hexen fliegen auch ganz ohne Hilfmittel, indem sie sich mit der Salbe einfach selbst einstreichen.
Interessant ist, dass sich auch Protokolle finden, in denen die Befragten von sich aus erzählen, an bestimmten Tagen "ausgefahren", also weggeflogen zu sein. Man bekommt den Eindruck, dass die Befragten der festen Überzeugung sind, diese Flüge hätten sich ganz real ereignet. Deswegen vermutet man heute, dass es womöglich mitunter tatsächlich "Flugsalben" gab, die halluzinogene Stoffe enthielten. Es gibt beispielsweise einen Bericht von einer Hexe, die "geflogen" war, nachdem sie sich mit Lampenöl eingerieben hatte.
Und was machen die Hexen eigentlich, wenn sie davonfliegen? Üblicherweise reisen sie einfach zum Hexensabbat und vergnügen sich dort. Aus Italien gibt es aber auch Berichte von ausfahrenden Männern und Frauen, die nächtlich auf Feldern Dämonen bekämpfen, um so für eine gute Ernte zu sorgen. In diesen Fällen war das Ausfahren also gar nicht als böses Hexenwerk verstanden worden, sondern als positiver Dienst an der Gemeinschaft, der wohl auf archaische Feldkulte zurückgeht. Erst die Inquisition verteufelte diese Erzählungen und machte aus den auserwählten Dämonenvertreiber:innen Diener:innen des Teufels.
Tierverwandlung
Manche Hexen fliegen nicht in ihrer eigenen Gestalt, sondern verwandeln sich dazu in fliegende Tiere. Aber auch andere Tierkörper nutzen Hexen gerne als Tarngestalt. Hoch im Kurs sind schwarze Tiere: Denn Schwarz war die Farbe des Teufels und so galten diese ohnehin als verflucht.
Im Aberglauben gibt es diese Vorstellungen noch heute: Schwarze Katzen halten manche für teuflische Kreaturen. Kommen sie von rechts angeschlichen, haben sie ihre bösen Taten bereits vollbracht und sind auf dem Rückweg in die Hölle. Dann müssen sich Menschen nicht mehr vor ihnen fürchten. Kommen sie aber von links (der Seite des Bösen) haben sie die Hölle gerade erst verlassen und sind auf Unheil aus. Dann bringen sie Unglück! Durch solche Erzählungen wurde jedenfalls die schwarze Katze zum berühmtesten Hexenbegleittier. Raben sind natürlich ebenfalls ein Klassiker. Doch auch Hunde kommen vor oder natürlich schwarze Hähne.
Im skandinavischen Raum verwandelen sich Hexen übrigens sehr viel versierter als hierzulande. Das Repertoire reicht über klassische Hexentiere weit hinaus und auch die schwarze Farbe ist nicht mehr zwingend. Die Hexen verkehren als Möwen, Robben oder Walfische. Oder als das, was ihnen eben sonst noch einfällt.
Kellerfahren
Meistens fliegen die Hexen wie gesagt auf den Hexensabbat. Doch manchmal reiten sie eben nicht durch die Nacht, sondern kehren unbemerkt und evtl. auch unsichtbar in die Häuser ein, um dort Unheil anzurichten. Vor allem haben sie es auf Keller abgesehen: Dort werden neben Lebensmitteln natürlich Bier und Wein gelagert und beides trinken die Hexen gerne aus. Verschwindet also mal etwas von dem guten Stoff, dann waren da sicher wieder einmal die Hexen am Saufen!
Aber diese Idee findet man tatsächlich nur in Protokollen von Regionen, wo es auch tatsächlich Keller gab. Hexen in Regionen mit hohem Grundwasserspiegel müssen sich offenbar andere Möglichkeiten suchen, sich heimlich zu betrinken. Bier und Wein von denjenigen unter uns, die also keinen Keller besitzen, dürfte relativ sicher sein.
Moderne Rezeption
Betrachtet man moderne Fantasyliteratur ist Hexenmagie sicher unspezifischer. Weil es inzwischen auch positive Hexendarstellungen gibt, ist Hexenmagie nicht immer nur schädlich. Analog zu Schadenszaubern gibt es beispielsweise genauso Heilzauber. Und Wetterzauber sind nur eine unbedeutsame Kategorie im Wirken von modernen Hexen. Salben findet man kaum mehr, dafür einiges an Tränken. Als tierische Begleiter haben sich in erster Linie schwarze Katzen, Raben und Kröten herhalten, wobei sich Hexen meistens nicht selbst in solche verwandeln. Als Fluggerät hat sich der Besen durchgesetzt (ironisch gemeint auch mal der Staubsauger) und das Betrinken im Keller gibt es kaum mehr. Wenn schon Keller, dann um dort Pentagramme zu zeichnen und Teufel zu beschwören, aber nicht, um Bier zu zapfen und Wein zu vernichten.

Das berühmteste Beispiel für moderne Hexendarstellungen ist sicherlich "Harry Potter". Aus der Jugendreihe sind alle Teufelsbezüge natürlich ausgeklammert und Magie ist einfach nur ein Mittel, das (fast) alles möglich macht. Besen sind ein Trendfahrzeug (oder Flugzeug?) und Katzen und Kröten ganz normale Haustiere. Wenn man so will, ist also nicht viel übrig geblieben aus der Frühen Neuzeit. Aber das ist sicherlich gut so – denn wenngleich aus heutiger Perspektive natürlich interessant, waren Hexenzuschreibungen ein Mittel, um unschuldige Menschen zu foltern und zu ermordern. Die Umkehrung von Hexenzuschreibungen ins Positive ist wahrscheinlich die einzige Möglichkeit, einen derart düsteren Stoff überhaupt modern aufzubereiten.
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