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AutorenbildKornelia Schmid

Ein Ring der Macht. Oder: Magische Artefakte in Fantasyromanen

Unsichtbar machende Ringe, verfluchte Amulette, leuchtende Diademe – magische Artefakte gehören zur Fantasy mit dazu. Dabei stellt sich allerdings unweigerlich die Frage: Braucht es sie immer? Oder sind sie manchmal nicht auch ein allzu bequemer Deus ex Machina? Hier analysiere ich die Funktion von Artefakten in Fantasyromanen.


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Artefakte sind in Fantasyromanen – und dabei ist es egal, ob es um Urban Fantasy oder High Fantasy geht – extrem populär. Man kann fragen: Warum beschäftigt sich die Fantasy eigentlich so unheimlich gerne mit Dingen? Ist es Eskapismus in dem Sinne, dass man lieber von Gegenständen schreibt, als sich mit komplexeren menschlichen Problemen zu beschäftigen? Auf manche Romane mag das zutreffen. Oft sind die Hintergründe aber sehr viel komplexer und haben lange Wurzeln.


Artefakte in der Literatur des Mittelalters


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Bei einem unsichtbarmachenden Ring denken die meisten wahrscheinlich an "Der kleine Hobbit" und "Der Herr der Ringe" von J. R. R. Tolkien. Tatsächlich hat Tolkien den magischen Ring aber nicht erfunden – den Vorläufer finden wir in der mittelalterlichen Literatur, beispielsweise im "Iwein" Hartmanns von Aue, ein höfischer Roman ungefähr aus den Jahr 1200. Hier verfolgt der Ritter Iwein seinen Feind in dessen Burg. Am Torhaus werden die Fallgitter heruntergelassen und sperren Iwein ein. Da taucht (etwas mysteriös) ein Fräulein auf und gibt Iwein einen magischen Ring, mit den er sich vor den Feinden unsichtbar machen und so aus seiner brenzligen Lage retten kann.


Man muss wissen, dass der "Iwein" viele Elemente aus dem keltischen Feenmärchen enthält und Feen haben als magische Wesen natürlich gerne mal ein magisches Artefakt dabei und überreichen es. Außerdem ist der Ring im Mittelalter ein wichtiges Rechtssymbol. Er dient als Beweisstück für geleistete Schwüre (und da darf man natürlich auch an das Eheversprechen denken, wo wir den Ring als Symbol heute noch kennen).


Die Idee, dass es magische Ringe, Gürtel, Schwerter, Umhänge oder auch Federkleider gibt, ist also alt (und verdient bei Gelegenheit einen eigenen Blogartikel). Es kann deshalb also kaum verwundern, dass entsprechende Gegenstände seitdem immer wieder durch die Literatur spuken.


Braucht es einen magischen Gegenstand?


Die Frage, die sich Autor:innen allerdings immer stellen sollten, wenn sie in Versuchung geraten, einen solchen Gegenstand in ihre Geschichte einzubauen, ist folgende: Braucht es ihn tatsächlich? Oder anders gefragt: Welche Funktion erfüllt der Gegenstand in der Geschichte und könnte diese auch beispielsweise von einer Figur übernommen werden?


Denn: Ein magisches Artefakt, nur um des Artefaktes willen, ist selten originell. Texte, die sich zu sehr auf Gegenstände fokussieren, verpassen es oftmals, sich mit Menschen zu beschäftigen (und die sind doch eigentlich viel interessanter als Gegenstände, oder nicht?).


Gute Gründe, mit Artefakten zu arbeiten, gibt es aber durchaus. Deshalb stelle ich euch im Folgenden vor, welche Funktionen magische Artefakten haben können und welche davon einem Text tatsächlich guttun.


Funktionen von magischen Artefakten


Eine Verbindung zwischen zwei Welten


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Oft ist ein magisches Artefakt ein Bindeglied zwischen zwei Welten. Manchmal sind das Parallelwelten, die nur über das Artefakt, das hier als Schlüssel fungiert, betreten werden können.


Ein prominentes Beispiel sind "Die Chroniken von Narnia" bzw. Band 2 "Der König von Narnia". Die vier Protagonist:innen betreten hier eine magische Welt durch einen Wandschrank. Diese Welt kann nur von Kindern besucht werden – deshalb ist der Schrank für Erwachsene auch einfach nur ein Schrank. In Narnia sind die Kinder auserwählt. Sie erleben nicht nur ein Abenteuer, sie reifen daran auch und bewegen sich dadurch Stück für Stück in Richtung Erwachsenenleben. Genauso wie der Wandschrank in der Geschichte eine Schwelle zwischen den Welten ist, so ist er auch eine Schwelle zwischen verschiedenen Lebensabschnitten (nämlich Kindheit und Pubertät). Man kann also sagen, der Schrank ist nicht nur ein wichtiges Objekt in der Geschichte, sondern er ist auch ein Symbol und besitzt damit einen tieferen Sinn. Und wenn ihr mal darauf achtet, findet ihr solche Zuschreibungen bei Gegenständen, die Welten verbinden, tatsächlich ziemlich häufig.


Ein Bindeglied zwischen Vergangenheit und Gegenwart


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Im Grunde geht es hier ebenfalls wieder um zwei verbundenene Welt, nur liegen diese nicht parallel nebeneinander, sondern auf derselben Ebene hintereinander. Hier können wir natürlich sofort an eine klassische Zeitreisegeschichte denken. Aber es muss gar nicht immer darum gehen, zwischen den Zeiten hin und her zu wechseln. Manchmal ist die Verbindung auch subtiler.


In "Das Licht aus dem Nebel" gibt es ein magisches Artefakt: ein Glaszepter. Es stammt aus vergangenen Jahrhunderten und enthält eine Technologie, die in der Gegenwart verloren ist bzw. gerade erst wiederentdeckt wird. Das Auftauchen dieses Gegenstandes reißt also die Kluft zwischen Alt und Neu auf und erzeugt dadurch einen Konflikt, der bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht bestand.


Dieses Narrativ gibt es nicht nur in Fantasyromanen. Auch in der Literatur , die wir eher dem Realismus zuschlagen, kann es ein verblichenes Foto geben, das plötzlich auftaucht und dadurch alte Wunden aufreißt (oder frische zufügt). Nur haben dieselben Objekte in der Fantasy meist eben auch noch magische Kräfte.


Die Gesetze der Welt umgehen


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Jede Welt hat ihre Gesetze. In fiktionalen Texten entsprechen diese nicht automatisch denen der Realität. Nichtsdestotrotz existieren sie. In Fantasyromanen gibt oftmals Magie diese Regeln vor. Manchmal ist Magie aber auch die bemerkenswerte Ausnahme.


Als Beispiel habe ich hier einen Klassiker der Fantastik ausgesucht: "Das öde Haus" von E. T. A. Hoffmann. Das Artefakt ist hier ein Zauberspiegel, den der Protagonist findet. Es gibt in der Geschichte bereits vorher merkwürdige und vielleicht magische Vorfälle – sie lassen jedoch eine realistische Deutung ebenfalls zu. Was der Protagonist sieht, könnte Einbildung sein. Oder einfach nur ein unscharfes Gemälde hinter dem Vorhang. Eine Spiegelung in einer Fensterscheibe. Durch den Blick in den Zauberspiegel erhält der Protagonist jedoch Informationen, die er gar nicht haben dürfte – es passiert also etwas Übernatürliches, etwas Magisches. Weil die Geschichte in unserer Welt spielt, sollte das eigentlich nicht möglich sein. Der Spiegel hebt die Gesetzmäßigkeiten jedoch auf und macht es möglich. Das magische Artefakt ist damit ganz entscheidend, um das Ungewöhnliche in der Geschichte hervorzubringen.


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Die weniger raffinierte Variante gibt es in Fantasyromanen aber zuhauf. Gilt in einer Welt "Die böse Herrscher:in ist unbesiegbar", so wird das Problem oft dadurch gelöst, dass ein besonderer Gegenstand eingeführt wird, der besagter Herrscher:in am Ende eben doch das Handwerk zu legen vermag. Einen Plot derart aufzubauen, ist nicht sonderlich elegant, denn die Herrscher:in könnte genauso gut eine Schwäche haben, die von der Protagonist:in entdeckt wird und zum Untergang der Schurk:in führt. Diese Variante ist komplexer und interessanter als die Alternative mit dem magischen Artefakt.


Dass dieses Motiv so häufig bedient wird, hat sicher mit J. R. R. Tolkiens "Der Herr der Ringe" zu tun. Denn natürlich ist das genau die Geschichte, die in den drei Romanen erzählt wird. Das finde ich ein wenig unglücklich. Man darf aber nicht vergessen, dass durchaus noch mehr erzählt wird, z. B. wie der Ring eine dunkle Anziehung auf die menschliche bzw. im vorliegenden Fall halblingische Psyche ausübt. Der Ring erfüllt folglich noch eine weitere Funktion. Und die bringt mich auch schon zu meinem nächsten Punkt.


Manipulation des Geistes


Der besagte Ring stellt eine direkte Verbindung zum bösen Herrscher Sauron her. Über ihn kann Sauron den jeweiligen Träger manipulieren, sodass dieser nach und nach alles andere aus dem Blick verliert und in eine Art Abhängigkeit schlittert. Das ist der Konflikt, der Frodo bis zum Finale begleitet.


Magische Artefakte mit einer eigenen Seele bzw. einem eigenen Willen besitzen oft die Fähigkeit oder wenigstens das Potenzial, ihre Besitzer:innen wahnsinnig zu machen. Die Funktion solcher Artefakte ist es also, eine Bedrohung für die menschliche Psyche vorzustellen, die es in der Realität in dieser Form nicht gibt, und dieses Gedankenexperiment dann durchzuspielen. Es geht also weniger um die Gegenstände selbst, sondern vielmehr um die Menschen, die von ihnen beeinflusst werden.


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Die "Harry Potter"-Reihe enthält eine Menge magische Artefakte, mal interessant, mal wiederum weniger günstig platziert. Die Horkruxe fallen wahrscheinlich eher in die erste Kategorie. Dabei handelt es sich um eine Reihe von Gegenständen, die so verhext wurden, dass sie Seelensplitter des bösen Zauberers Voldemort enthalten. Wer in Kontakt mit einem solchen Objekt kommt, holt sich eben dieses Böse in die unmittelbare Nähe. In "Die Kammer des Schreckens" ist der handlungsauslösende Gegenstand ein derart verfluchtes Tagebuch, das eine der Figuren zu bösen Taten anleitet.


Braucht es hier tatsächlich einen Gegenstand für den Konflikt oder könnten es nicht auch böse Personen sein, die direkt manipulieren? Nun, diese Struktur lebt vom Geheimnisvollen. Einem unscheinbar wirkenden Gegenstand traut man eine solche Macht seltener zu, man lässt ihn einfacher an sich heran. Und dadurch werden Tragik ebenso wie Überraschung größer. Die Thematik rund um "Manipulation", "Wahnsinn" und "Besessenheit" funktioniert also sehr gut mit solchen Objekten.


Artefakte als Ersatz für technische Geräte


Vor allem High Fantasy Romane spielen selten in Welten, in denen die Elektrizität bereits entdeckt wurde. Allerdings gibt es meistens Magie und manche Entwürfe nutzen diese als Äquivalent für Technik. Dadurch entsteht eine vorindustrielle Welt, die aber dennoch manche Möglichkeiten der Moderne besitzt, was ein spannendes Setting sein kann. Und manchmal resultiert aus der Art der vorgestellten Magie auch einfach die Entwicklung bestimmter magischer Gegenstände.


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In Brent Weeks "Licht-Saga" wandeln die Menschen Licht in feste oder flüssige Substanzen um. Diese Form der Magie ist tief in der Gesellschaft verankert. Wir sehen eine Art von Magie, die bereits weiterentwickelt ist: Sie wird aufwändig an einer Akademie gelehrt und erforscht. Die magischen Artefakte in der Romanreihe stehen deshalb in engem Zusammenhang mit dem Magiesystem. Die "Blendende Klinge" beispielsweise, ein Objekt, dass die magische Begabung entweder rauben oder verleihen kann, besteht aus äußerst seltenem weißem Luxin, das eben jene Eigenschaften besitzt. Weil das Wissen um weißes Luxin verloren gegangen ist, kann keine weitere blendende Klinge mehr hergestellt werden. Theoretisch wäre das aber möglich. Die Artefakte sind also nicht mysteriös, sie sind auch nicht einzigartig. Sie sind einfach eine Konsequenz aus der Art und Weise wie in dieser Welt Magie eingesetzt wird und dienen den Protagonist:innen als nützliches, aber nicht alles entscheidendes Werkzeug.


Artefakte als Deus ex Machina


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Nun, manchmal ist die Einführung eines magischen Artefaktes zur Lösung des Konflikts schlichtweg die unkreativste Lösung. Ich schrieb es oben bereits: Dass eine dunkle Herrscher:in ausschließlich durch einen mächtigen Gegenstand besiegt werden kann, ist weder originell noch realistisch und schon gar nicht notwendig.


In meinen Augen haben wir einen solchen Fall im letzten Band der "Harry Potter"-Reihe. Als es aufs Ende zugeht und der Konflikt mit dem übermächtig gewordenen Voldemort gelöst werden muss, tauchen in der Handlung plötzlich die titelgebenden "Heiligtümer des Todes" auf, von denen die Leser:innen bis zu diesem Zeitpunkt noch nie etwas gehört haben. Anstatt nach Schwachstellen der Persönlichkeit Voldemort zu suchen, dreht sich der Roman nun nur noch darum, magischen Artefakten nachzujagen. Eine merkwürdige Wendung. Natürlich, die Romanhandlung ist dann doch komplexer als "Artefakte besiegen dunklen Herrscher", nichtsdestotrotz kommen sie ein wenig plötzlich.


Magische Artefakte in Pen-&-Paper-Rollenspielen


Wir halten fest: Manchmal sind magische Artefakte tatsächlich verzichtbar. In anderen Fällen haben sie aber durchaus ihre Berechtigung und können eine Romanhandlung sinnvoll voranbringen. Und manchmal sind sie vielleicht auch einfach nur eine Anspielung: Auf die mittelalterlichen ebenso wie modernen Klassiker. Entsprechend haben magische Artefakte auch ihren festen Platz in Pen-&-Paper-Rollenspielen. Wenn eine Figur in "Dungeons & Dragons" durch das Aufsetzen eines besonders betörenden magischen Hutes mal eben +10 Charisma und dadurch die Fähigkeit, Menschen zu unmöglichen Handlungen zu überreden, erhält, sollte man das aber nicht allzu ernst nehmen. Denn hier geht es um den Spielspaß und da ist die Satire immer mit an Bord.




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