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Sie lebten in einem Palast aus Glas. Oder: Architektur in High-Fantasy-Romanen

Autorenbild: Kornelia SchmidKornelia Schmid

Aktualisiert: 23. Aug. 2024

Am Anfang meines Schaffens habe ich Architektur in meinen Texten kaum eine Bedeutung beigemessen. Die Gebäude waren nur da, weil sie eben da sein mussten: eine Festung, eine Brücke, eine Hütte. Sich jedoch nicht damit auseinanderzusetzen, ist verschenktes Potenzial im Bereich Worldbuilding. Hier gebe ich Denkanstöße.


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Googelt man "Fantasy Architektur" findet man zu allererst visuelle Umsetzungen des Themas. Für Maler:innen scheint es besonders reizvoll zu sein, sich hier auszutoben – für Autor:innen sollte das genauso gelten. Vielleicht müssen Autor:innen manchmal auch zu Maler:innen werden, wenn es darum geht, einer Welt Leben einzuhauchen. Dazu gehört auch, sich mit Architektur zu beschäftigen: mit dem großen Ganzen ebenso wie mit den feinen Details.


Aus welcher Epoche eurer Welt stammen die Bauwerke?


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Viele Fantasywelten erinnern an das europäische Mittelalter. Aber muss das eigentlich immer sein? Oder anders gesagt: Sind die Gebäude immer Burgen oder könnten sie nicht auch ganz anders gestaltet sein? Die Welt von "Das Licht aus dem Nebel" hat das Mittelalter bereits hinter sich gelassen, ohne jedoch in der Moderne angekommen zu sein. In der Realität wurden monumentale Kuppeln erst in der Renaissance technisch möglich und zugleich neues Ideal – ich denke da an Bauten wie den Dom von Florenz oder den Petersdom. Diese Epoche schien mir passend für meine Welt und so hat der Palast von Sasberg ebenfalls eine gewaltige Kuppel bekommen. Die Gebäude in Kraburg hingegen sind älter und erinnern noch an die mittelalterliche Baukunst. In welchen Gebäuden die Szenen in euren Texten spielen, ist auf jeden Fall entscheidend für die Atmosphäre, die ihr kreieren wollt und auch für die Art und Weise, wie Leser:innen eure Fantasywelt einordnen. Denn hier stellt sich auch immer die Frage der Konsistenz: wissenschaftliche Forschung, eine Abkehr von Religion und Glauben, ein stehendes Heer – aber gleichzeitig finstere Burgen aus dicken Steinblöcken? Das würde nicht zusammenpassen.


In welchem Kulturkreis spielt eure Handlung?


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Während "Das Licht aus dem Nebel" noch ein einem weitgehend europäischen Setting spielt (ein paar Elemente habe ich jedoch geklaut wie beispielsweise die Terrassenfelder vor Sasberg, auf denen Kürbisse wachsen), schwenkt die Handlung in "Das Licht im Sand" in einen anderen Kulturkreis. Es war von Anfang an klar, dass ich ein Wüstensetting verwenden werde. Nicht klar war allerdings, wie genau dieses aussehen soll. Sollte ich mich am arabischen Raum orientieren? Dann hätte ich wahrscheinlich goldene Kuppeln schimmern lassen und bunte Mosaike an die Wände geklebt. Doch das schien mir zu klassisch, zu naheliegend. Also habe ich entschieden, weiter in der Zeit zurückzugehen und mich mit vergangenen Epochen in Vorderen Orient zu beschäftigen. Als Inspiration für die Architektur in Skeret diente schließlich das alte Babylon: Der Königspalast ist eine Art Zikkurat, Verzierungen sind glasierte Ziegel und auf Terrassen finden sich üppige Gärten. Während klassisch orientalische Städte in Fantasybüchern noch häufig vorkommen, sind solche Elemente unkonventioneller. In meinen Augen lohnt es sich deshalb besonders, sich mit vergangenen Hochkulturen zu beschäftigen und sich von ihnen inspirieren zu lassen. Es gibt dabei so viele Möglichkeiten, ausgetretene Pfade zu verlassen!


Welche neuen Materialien erlaubt ein Fantasysetting?


Die Stufenpyramide von Skeret aus meinem Roman besteht, wie man erwarten kann, aus Stein. Wie der Palast von Sasberg gefertigt ist, ist wiederum weniger erwartbar. Denn die Besonderheit von High Fantasy Romanen, wenn es um Architektur geht, ist, dass sich die Grenzen des Machbaren verschieben: Wenn es in der Welt Magie gibt, werden ganz neue Elemente in der Architektur möglich. Ein riesiges Schloss, gefertigt aus Glas? In der Realität kenne ich so etwas nicht, aber was spricht eigentlich dagegen, dass etwas Derartiges in meinen Büchern vorkommt? In "Das Licht aus dem Nebel" ist Glas außerdem ein Material, das Magie speichern kann – das erklärt, warum die Menschen überhaupt auf die Idee kamen, es bei Bauwerken in einem derartigen Ausmaß einzusetzen. Gebäude aus Glas sind in meiner Welt immer magisch – egal, ob nun Palast oder Brücke. High Fantasy Settings erlauben also, reale Materialien in einer unkonventionellen Form einzusetzen: Wände aus Saphir, Treppen aus Gold, Torbögen aus lebenden Bäumen und Säulen aus Dinosaurierknochen, alles ist erlaubt.


Welche neuen Dimensionen sind möglich?


Eine Pyramide so groß wie eine Stadt? Derart gewaltige Ausmaße sind unrealistisch. Doch wenn wir beim Bauen Zauber einsetzen können, warum nicht? High Fantasy macht es möglich, in neuen Dimensionen zu denken. Wenn Magie bei der Erschaffung von Gebäuden Einfluss nimmt, ist Vieles denkbar: Türme, die Wolken kitzeln, Treppen, die in den Himmel führen oder Tunnelsysteme, die ganze Gebirgsketten durchbrechen.


Wie verändert Magie Gebäude?


Wenn Magie beim Bauen eingesetzt wird, kann man mit ihr dann auch die Gesetze der Statik umgehen? Inwiefern ihr euch an die Naturgesetze unserer Welt halten wollt oder nicht, bleibt euch überlassen. Manche Magiesysteme erlauben definitiv einige Variation. Warum also nicht Gebäude erschaffen, die schweben, leuchten oder unsichtbar sind? Die Türen haben, die manchmal auftauchen, manchmal verschwinden? Die Räume haben, die nur von bestimmten Personen entdeckt und betreten werden können?


Apropos Magiesysteme – wie Magie in High Fantasy Literatur funktionieren kann, untersuche ich in diesem Artikel: https://www.kornelia-schmid.de/post/magiesysteme-in-high-fantasy-romanen.


Welche Art von Bauwerken kommen vor?


Meistens haben wir es in High Fantasy Romanen mit Burgen, Palästen und Städten zu tun. Doch natürlich gibt es auch andere Gebäudetypen, die ein Setting interessant gestalten können. In "Das Licht aus dem Nebel" spielt ein Kapitel in einem Aquädukt, andere Szenen an einer Schleuse, außerdem gibt es eine magische Glasbrücke. "Das Licht im Sand" hat besagte gewaltige Pyramide mit Terrassen, "Das Licht hinter dem Wind" Gärten mit Brunnen und einen Leuchtturm. Architektur in Fantasyromanen muss sich nicht immer nur auf Festungen beschränken: Warum nicht auch einmal Türme, Treppen oder Tunnel als Schauplätze wählen?


Beispiele: Architektur in Fantasyliteratur


Es gibt viele Beispiele an Texten, die Architektur originell einsetzen. Dabei ist sie nicht immer nur kreatives Element des Worldbuildings, sondern unterstreicht die Textintention. Ich stelle hier ein paar spannende Fantasy-Schauplätze vor.


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George R. R. Martins "Das Lied von Eis und Feuer" bietet verschiedene interessante Settings, von der großen Wand aus Eis im Norden bis hin zu der Pyramidenstadt Meereen am Kontinent Essos. In Westeros haben die meisten Festungen der großen Häuser bestimmte Besonderheiten. Die Burg Hohenehr beispielsweise liegt hoch in den Bergen und ist dadurch schwer zugänglich. In der Haupthalle befindet sich die "Mondpforte" – eine Öffnung zwischen zwei Säulen, durch die unliebsame Gäste geworfen werden. Die Kerkerzellen ("Himmelszellen") der Festung sind zum Himmel und zur umliegenden Landschaft hin offen. Die Gefangenen können aufgrund der steil abfallenden Felswände trotzdem nicht fliehen. Manche entscheiden sich bewusst, sich in den Tod zu stürzen, um dadurch der Kälte und dem tosenden Wind zu entfliehen. Die Burg bietet also einige Merkmale, die sie als Setting spannend machen. Natürlich nutzt der Autor diese für die Handlung. Zusätzlich betonen diese architektonischen Elemente, wie grausam die Welt des Romans ist: Der Fokus liegt hier schließlich auf ungewöhnlichen Hinrichtungs- und Foltermethoden.


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Auch in Bernhard Hennens Welt Albenmark aus "Die Elfen" und den Folgebänden gibt es viele ausgestaltete Schauplätze. Die Burg Elfenlicht, in der die Elfenkönigin Emerelle residiert, ist nicht einfach nur eine Burg. Der Thronsaal besitzt keine Decke und entlang der Wände fallen Wasserkaskaden in die Tiefe. Prominent platziert ist außerdem eine magische Silberschale, über die sich die Königin von Zeit zu Zeit beugt, um dort die möglichen Zukünfte zu betrachten. Die Funktion der Architekturbeschreibung ist hier also eine andere als in "Das Lied von Eis und Feuer". Nicht um Grausamkeiten geht es, sondern um Magie. Durch die Architektur erfahren die Leser:innen, dass wir es hier mit einem Gebäude zu tun haben, das der Menschenwelt entrückt und nur in dieser mythischen Paralellwelt der Elfen denkbar ist.


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Der Schauplatz von Robert Jackson Bennetts "Die Stadt der tausend Treppen" ist eng mit dem Plot verwoben: In der Stadt Bulikov gibt es, seit die Götter sie verlassen haben, alte Ruinen, verwitterte Ornamente an Hausfassaden und eben Treppen, die teilweise ins Nichts führen. Dabei tauchen die Stufen manchmal plötzlich auf und verschwinden genauso schnell wieder. Es wird also klar: Hier ist Magie im Spiel. Und diese gilt es aufzudecken. Welche Geheimnisse sich hinter der ungewöhnlichen Architektur verbergen, erzählt der Roman. Auch die beiden Folgebände arbeiten gezielt mit den Settings und so tragen alle drei Bücher das Wort "Stadt" im Namen.



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Die Handlung von Rafaela Creydts Roman "Der letzte Winter der ersten Stadt" spielt dem Titel entsprechend in einer Stadt, die eine Ausnahmestellung in der gezeigten Welt einnimmt. Atai wird auch "Goldene Stadt" genannt. Sie ist aus dunklem Stein erbaut, der teilweise mit Gold überzogen ist. Der Kaiserpalast ist eine Stufenpyramide und dahinter liegt ein silberner See, der im Laufe der Handlung zufriert. Der Buchtitel verrät uns, dass es der letzte Winter dieser "ersten Stadt" sein wird – das Reich ist zum Untergang verdammt. Ist ein Schauplatz mit einer solchen Bedeutung aufgeladen, sollte sich das auch in seiner Ausgestaltung spiegeln, wie es hier geschieht. Dass eine Stadt derart dekadent ist, dass die Leute einfach nach Lust und Laune Goldfolien an die Steine kleben, könnte man auch so interpretieren, dass diese Gesellschaft ihren Zenit bereits überschritten hat und es eigentlich nur noch bergab gehen kann.



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