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AutorenbildKornelia Schmid

Nur Burgen auf Hügeln? Oder: Warum High Fantasy eben nicht immer im Mittelalter spielt

Aktualisiert: vor 3 Tagen

High Fantasy spielt in einer Mittelalterwelt. Oder? Für viele Romane und Romanreihen trifft das mit Sicherheit zu. Aber: Nicht immer, wenn es keine fortschrittliche Technologie gibt, ist die Welt im (europäischen) Mittelalter zu verorten. Tatsächlich gibt es viele High Fantasy Bücher, die sich aus ganz anderen Epochen bedienen.


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Ich habe schon Rezensionen zu Büchern gelesen, in denen es hieß: "Interessantes Setting, aber warum wird hier in eine mittelalterliche Welt Schießpulver gepackt?" Bei solchen Aussagen bin ich zugegeben etwas verdutzt. Denn alles daran ist falsch. Tatsächlich gab es ja im späten Mittelalter Schießpulver. Gemeint waren im vorliegenden Fall jedoch Pistolen. Und die wiederum hätten der beste Hinweis sein sollen, dass das Setting eben nicht dem Mittelalter zuzuordnen ist. Manche Leser:innen halten es offenbar für wahrscheinlicher, dass die Autor:in beim Worldbuilding Mist gebaut hat, als dass die eigenen Epochenkenntnisse vielleicht nicht ganz so hieb- und stichfest sind wie gedacht. Eine kleine Aufklärung.


Was bedeutet "Mittelalter"?


In der Regel wird unter "Mittelalter" der Zeitraum zwischen dem 6. und dem 15. Jahrhundert verstanden, also von 500 bis 1500. Danach beginnt gemeinhin die Frühe Neuzeit. Das Gesellschafts- bzw. Wirtschaftssystem im Mittelalter nennt sich "Feudalismus", was bedeutet, dass adelige Lehensherren ihren Vasallen Land und Güter geben und umgekehrt diese ihnen zu Treueleistungen (wie Abgaben oder Kriegsdienst) verpflichtet sind. Eng damit verknüpft ist das Rittertum mit seinem spezifischen Verhaltenscodex. Beides gehört zentral zum Mittelalter dazu. Das heißt: Lest ihr von Fantasywelten ohne Feudalismus und Rittern, ist es extrem unwahrscheinlich, dass man diese noch guten Gewissens unter "mittelalterlich" laufen lassen kann. Tatsächlich gab es im Mittelalter bis auf absolute Ausnahmen keine stehenden Heere. (Nicht-adelige) Berufssoldaten und Akademien, an denen diese ausgebildet werden, gehören nicht ins Mittelalter.


Hinzu kommt die Bedeutung der Kirche. Religion und Glauben spielten eine ganz entscheidende Rolle im Mittelalter. Die geistlichen Oberhäupter krönten die weltlichen und waren ihnen damit übergeordnet (so zumindest das Verständnis). Lest ihr von einer Fantasywelt, in der Religion kaum eine Bedeutung hat, ist das ebenfalls ein Indiz dafür, dass wir das Mittelalter womöglich verlassen haben. Das gilt vor allem, wenn sich ein System der Aufklärung, der Wissenschaft und Forschung breit entwickelt hat. Dann sind wir mindestens in der Frühen Neuzeit.


Hilfreich ist auch ein Blick auf Architektur: Kuppelbauten gab es in Europa in der Antike, vor allem aber in der Renaissance. Keine Kuppeln im europäischen Mittelalter. Auch die breite Verbreitung von Fensterglas wäre ein Indiz dafür, dass wir uns in einer späteren Epoche befinden.


Zuletzt gibt es natürlich noch einige Technologien, die erst nach dem Mittelalter entstanden sind. Dazu gehören der Buchdruck, optische Geräte wie Teleskope oder Fernrohre oder komplexere mechanische Apparaturen. Laufen die Leute mit handlichen Pistolen herum, liegt das europäische Mittelalter dann sicher hinter unter.


Kann man Fantasywelten überhaupt einordnen?


Fantasywelten haben natürlich den Vorteil, dass Autor:innen sich nicht akribisch an historische Begebenheiten halten müssen und verschiedene Epochenmerkmale mischen können oder einfach moderne Elemente ins Mittelalter hineinziehen. Dennoch gibt Merkmale, die in einer Welt dominieren und eine bestimmte Einordnung nahelegen. Stichwort: Ritter. Wie gesagt, mit Rittern gehört die Welt ziemlich sicher ins Mittelalter, ohne sie ziemlich sicher nicht. Ob zusätzlich noch ein Fernrohr herumrollt, ist dann sicher weniger entscheidend für das Gesamtbild.


Rüstungen gehören doch ins Mittelalter?


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In Bezug auf meine Bücher habe ich die Unterstellung natürlich auch gehört: "Spielt dein Roman nicht im Mittelalter?" Nun, abgesehen davon, dass er in einer Fantasywelt spielt, gibt es von meiner Seite aus ein klares Nein auf diese Frage. Vielleicht sind es die Rüstungen, die beim Militär getragen werden, die auf die falsche Fährte locken. Na gut, das kann ich verstehen. Abgesehen davon: Es gibt kein feudales System, keine Ritter, keinen Klerus, keine Burgen. Stattdessen Aufklärung anstelle von Religion, Wissenschaft und Forschung, stehende Heere, Paläste mit Kuppeln und Fensterglas, erste Kanonen, einen Geheimdienst. Wenn ich das Setting zeitlich verorten müsste, würde ich sagen, wir befinden uns etwa im 17. Jahrhundert, also in der Frühen Neuzeit.


Und ein Unikat ist meine Trilogie da durchaus nicht. Im Folgenden stelle ich euch ein paar High Fantasy Bücher vor, die entgegen der verbreiteten Meinung nicht im Mittelalter spielen. Und vorher noch ein paar, die es sehr wohl tun.


High Fantasy im Mittelalter


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"Das Lied von Eis und Feuer" von G. R. R. Martin ist extrem nah am historischen Mittelalter. Die Strukturen dieser Welt sind feudalistisch. Lehenseide und Konzepte wie "Ehre" werden hochgehalten. Blutsverwandtschaft hat einen großen Wert und Eheschließungen sind politisch, dienen dem Erhalt von Dynastien und der Sicherung von Herrschaft. Es werden Schlachten mit Schwertern geschlagen. Wie in der historischen Realität herrscht das Patriarchat, Frauen werden unterdrückt. Wissenschaft und Forschung sowie fortschrittlichere Technologien spielen keine Rolle.







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Die Elfenwelt der Romane Bernhard Hennens ist weitgehend mittelalterlich. Sie wird beherrscht von einer Königin und den ihr als Vasallen unterstellten Fürsten. Es gibt Ritter mit Schwertern. Auch Konzepte wie "Minne" existeren (zumindest in dem gemeinsam mit James Sullivan verfassten Auftaktband "Die Elfen"). Dass es in der Elfenwelt Magie und magische Wesen gibt, sorgt natürlich für ein paar Abweichungen. Außerdem sind Frauen hier gleichberechtigt und können Königinnen, Fürstinnen und Ritterinnen sein. Im Laufe der Jahrhunderte wird das Schießpulver in der Paralellwelt der Menschen entdeckt, es gibt hier also durchaus auch eine Weiterentwicklung der Welt.




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Der Titel "Dornenritter" des Romans von Kaja Evert legt eigentlich schon nahe, dass wir es hier mit einer Mittelalterwelt zu tun bekommen. Dem ist auch so: Es gibt ein Rittertum mit einem bestimmten Verhaltenscodex, einen König als Lehnsherrn, Burgen, Turniere und einen Drachenangriff. Gekämpft wird mit Lanzen und Schwertern und Schilden. Getragen werden dabei Rüstungen. Was diese Welt jedoch vom historischen Mittelalter unterscheidet, ist, dass hier Frauen nicht unterdrückt werden. Sie können genauso Ritter werden und tun das auch.






High Fantasy Bücher abseits des Mittelalters


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Brandon Sandersons "Nebelgeborenen-Reihe" ist sehr bekannt und sie spielt nicht im Mittelalter. Der Adel lebt in Palästen, verabredet sich zu Tanzbällen und trägt Uniformen. Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, die Romane spielen in einer ähnlichen Zeit wie "Das Licht aus dem Nebel" und Folgebände. Ritter sucht man hier jedenfalls vergeblich. Nach den ersten drei Bänden gibt es einen Zeitsprung. In der fiktiven Welt sind es 300 Jahre. Sowohl das Magiesystem als auch andere Technologien sowie die Gesellschaft haben sich in dieser Zeit weiterentwickelt, sodass ich "Hüter des Gesetzes" und Folgebände im 19. Jahrhundert verorten würde.




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Na, überrascht? Ja, auch Joe Abercrombies "Klingen-Romane" spielen nicht im Mittelalter. Das Cover lockt da definitiv auf eine falsche Fährte. Tatsächlich ist die Kultur der Nordmänner archaischer als der Rest der Welt, hier kann man also durchaus behaupten, dass es da noch ein wenig mittelalterlich zugeht (und damit kann man mit viel gutem Willen vielleicht auch diese durchaus mittelalterlich aussehenden Kämpfer auf dem Cover rechtfertigen). Aber im Reich Adua sieht das ganz anders aus: Hier werden Uniformen getragen und Degenkämpfe ausgefochten. Und spätestens nach "Zauberklingen" ist klar: Diese Welt steht direkt an der Schwelle zur Industrialisierung. Nun werden Fabriken gegründet und neue Technologien eingeführt.


Mehrteiler mehrbändige Reihen Trilogie High Fantasy Intrigen originelle Magiesysteme Kriege

Die Welt, in der Brent Weeks "Licht-Saga" spielt, ist nicht ganz einfach einzuordnen, weil sie so stark von dem Magiesystem geprägt ist, dass die Abweichungen zu realer Historie sehr groß sind. Aber Ritter und Burgen wird man hier nicht finden. Magiebegabte studieren hier an einer Akademie, optische Technologien wurden entwickelt, auch Pistolen werden bereits verwendet. Regiert wird die Welt von einem Rat. Die Monarchie ist Geschichte (wenngleich sich Abtrünnige mehrfach zu Königen ausrufen). Eine fiktive Kirche hat durchaus eine Bedeutung, doch gibt es unter den Protagonist:innen einige Zweifel an ihren Lehren. Die Aufklärung scheint sich hier also bereits eingenistet zu haben. Mittelalter-Atmosphäre kommt hier jedenfalls zu keinem Zeitpunkt auf, manche Elemente wie eine Art von Motorbooten gehören sogar schon in die Moderne.


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Leigh Bardugos "Das Lied der Krähen" spielt in einer Hafenstadt, die vom historischen Amsterdam inspiriert sein dürfte. In den verdreckten Ghettos kämpfen Gaunerbanden um die Vorherrschaft. Allein das städtische Umfeld darf uns schon auf die Spur bringen, dass es hier nicht typisch mittelalterlich zugeht. Im Mittelalter galten Städte ab 20.000 Einwohnern (wie beispielsweise Köln) bereits als Großstädte. Die meisten Städte hatten eher zwischen 2000 und 10.000 Einwohner. Im Roman fehlen Ritter und Burgen komplett und natürlich verraten auch die Pistolen, dass wir uns hier in einer späteren Epoche befinden. Ich tippe auf das 19. Jahrhundert.





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Brian McClellans Romane liegen als Beispiel sehr nahe. Angelehnt an die Geschehnisse der Französischen Revolution spielen sie in eine Epochen, entsprechend dem späten 18. oder vielleicht auch frühen 19. Jahrhundert. Und dabei dreht sich alles um Schießpulver – auch Geschichtsunkundige dürften hier erkennen, dass wir uns vom Mittelalter endgültig verabschiedet haben.






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