Das 19. Jahrhundert: Die Blütezeit von Freak Shows und Völkerschauen, in denen Menschen mit besonderen körperlichen Merkmalen wie etwa Kleinwüchsige oder aber ganze Menschengruppen mit verschiedensten ethnischen Hintergründen – aus ihrer Heimat in Afrika, Asien, Australien oder Amerika Verschleppte – wie Zootiere ausgestellt wurden.
In den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts ließ das Interesse an Freak Shows und Völkerschauen allmählich nach – Grund waren die Konkurrenz mit anderen Unterhaltungsangeboten wie dem Rundfunk, die Wirren des Zweiten Weltkrieges und ein durch das NS-Regime erlassenes Ausstellungsverbot "Missgebildeter". In den 50er-Jahren gab es verschiedene Versuche, diese Praxis wiederzubeleben. Zum Glück ist es nicht gelungen.
Die vom Ohneohren Verlag herausgegebene Anthologie "Hereinspaziert" widmet sich diesem dunklen Kapitel der Geschichte und verbindet dabei Historie mit Steampunkelementen und Magie.
In meiner Geschichte "Eselsfrau" steht hinter dem Zirkusvorhang Fatima – eine Frau, die eigentlich anders heißt und ihre Heimat zwischen Wüstendünen verlassen hat, um in Europa ihren Sohn zu suchen. Dabei muss sie jedoch feststellen, dass jemand wie sie in Europa weder Rechte noch Freiheit hat: eine Frau mit dunkler Hautfarbe, die nur arabisch spricht und anstelle von Füßen mit Eselshufen über den Boden geht.
Doch sind ihre Eselsbeine lediglich eine absonderliche Laune der Natur oder verbirgt sich dahinter nicht vielleicht etwas ganz Anderes? Fatima kennt die Antwort auf diese Frage genau. Aber erst ein Fremder ermöglicht es ihr, aus ihrem Leben auszubrechen.
Die Recherche für diese Geschichte war spannend, aber sie hatte auch einen sehr bitteren Geschmack. Für manche scheint es heute vielleicht nicht mehr vorstellbar, dass Menschen wie Zootiere behandelt worden, doch es war bittere Realität. Ein solches Schicksal traf nicht nur Individuen, die aus irgendwelchen Gründen von der Norm abwichen (sei es durch Missbildungen, Krankheiten oder einfach, weil sie zu groß oder zu klein, zu dünn oder zu dick waren).
Es gab auch regelrechte Menschenzoos, in denen beispielsweise afrikanische Dörfer nachgebaut wurden. Die Menschen darin wurden aus ihrer Heimat verschleppt und sollten nun vor aller Augen intime Einblicke in eine Welt liefern, wie Europäer sich das "primitive" Afrika gerne vorstellten.
"Hereinspaziert" ist in diesem Sinne sicher keine heitere Anthologie - dafür aber eine, die sich mit einem wichtigen Thema auseinandersetzt: der Menschlichkeit.
Die Anthologie erscheint Mitte September und kann beim Verlag vorbestellt werden: https://www.ohneohren.com/shop/Hereinspaziert-TASCHENBUCH-p485755349
Comments