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Es muss sich was bewegen – Spannung in Romanen erzeugen

Autorenbild: Kornelia SchmidKornelia Schmid

Wann ist ein Roman eigentlich spannend? Eine schwierige Frage. Viele Autor:innen tun sich schwer einzuschätzen, ob die Leser:innen dranbleiben werden oder nicht. Wichtig ist es deshalb, zu verstehen, wodurch Spannung in Texten überhaupt entsteht.


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Wann ist ein Buch langweilig? In der Regel dann, wenn es mir nichts zu bieten hat. Wenn sich schablonenhafte Figuren durch eine Handlung bewegen, die ohne jegliche Überraschungen abläuft, wenn ein abgedroschenes Thema oberflächlich abgearbeitet wird, wenn selbst die sprachliche Gestaltung nur aus bis zum Erbrechen bekannten Standardphrasen besteht. Umgekehrt heißt das nicht, dass das Rad immer neu erfunden werden muss, damit ein Roman spannend bleibt. Es gibt durchaus einige Tricks, wie man einen Text interessant macht.


Gute Voraussetzungen schaffen


Ich denke, es lässt sich mit fast jedem Setting oder Thema ein spannender Roman kreieren, wenn man weiß, wie. Allerdings ist es bei manchen wesentlich einfacher als bei anderen. Es wird leichter sein, von einer Figur zu schreiben, die von ihrem Volk verstoßen wurde und nun in einer abenteuerlichen Quest mit Feuerfeldern, Eiswüsten und Totenwäldern die Welt retten muss, als von einer, die unbedingt Socken stricken will und dafür nach der passenden Wolle sucht. Es ist also sicherlich nicht verkehrt, schon beim Worldbuilding anzusetzen und sich zu überlegen, welche Schauplätze besonders interessant sein könnten und im Text Fragen zu behandeln, die zum Nachdenken anregen.


Ein professioneller Schreibstil


Das ist eigentlich klar: Wenn der Text nur von einer Stilblüte zur nächsten holpert, auf abgegriffenen Klischees herumreitet und mit hohlen Phrasen und Dialogfetzen um sich wirft, dann macht das Lesen keinen Spaß. Da kann die Romanhandlung noch so interessant sein – wenn mich ein Text handwerklich nicht überzeugt, bin ich raus. Übrigens: Es wird ja gerne behauptet, dass kurze Sätze Tempo erzeugen, und lange bremsen. Das finde ich stark vereinfacht. Ob eine Szene funktioniert oder nicht, kann man kaum auf Satzlängen herunterbrechen. Ob sich ein Text flüssig liest, hängt von viel mehr Faktoren ab wie Sprachduktus, Prägnanz, Struktur, Rhythmus, Bildhaftigkeit usw. Wie man beispielsweise gute Dialoge schreibt, habe ich hier ausgeführt: https://www.kornelia-schmid.de/post/dialoge-schreiben.


Empathie mit den Figuren erzeugen


Man liest manchmal, Romanfiguren sollten sympathisch sein, man muss sich mit ihnen "identifizieren" können. Da würde ich entschieden widersprechen. Es gibt genügend populäre Bücher, in denen die Charaktere überhaupt nicht liebenswert sind, man sie im richtigen Leben kaum sympathisch fände oder gerne mit ihnen befreundet wäre und schon gar nicht möchte man sich "identifizieren". Ginge es nur darum, woher käme dann die Faszination für Antihelden oder Antagonisten, die viele empfinden? Oder anders: Würdet ihr euch mit Jamie Lannister aus G.R.R. Martins "Das Lied von Eis und Feuer" wirklich identifizieren wollen? Oder war Rincewind aus Terry Pratchetts "Die Farben der Magie" sympathisch? Wäre Sand dan Glotka aus Joe Abercrombies "Kriegsklingen" im wirklichen Leben euer bester Freund? Also ich würde alle drei Fragen entschieden mit nein beantworten. Trotzdem haben mich ihre Geschichten interessiert – weil ich Empathie mit diesen ambivalenten Figuren und ihren in ihrer ganz eigenen Welt nachvollziehbaren Motiven empfinden konnte. Lehnen Leser:innen eine Figur vollkommen ab, werden sie wenig Lust haben, sie auf ihrem Weg zu begleiten. Berührt und interessiert ihre Gedanken- und Gefühlswelt sie jedoch, werden sie dranbleiben. Wer es also schafft, spannende Charaktere zu erzeugen, hat bereits eine gute Basis für einen spannenden Roman geschaffen. Wie das gelingen kann, beschreibe ich auch hier: https://www.kornelia-schmid.de/post/fiktive-charaktere-entwickeln.


Auf Konflikte setzen


Keine Geschichte funktioniert ohne Konflikte. Die können unterschiedlich aussehen: Manchmal sind es Konflikte zwischen Figuren, manchmal Konflikte einer Figur mit der Welt oder mit sich selbst. Einer Autor:in muss jedoch klar sein: Sobald ein Konflikt gelöst ist, ist auch die Spannung weg. Das heißt nicht, dass man jeden Konflikt immer bis zum Ende ziehen muss – das funktioniert nicht immer. Aber es sollte zu jedem Zeitpunkt irgendwelche offenen Konflikte geben, mit denen sich Leser:innen beschäftigen können. Denn in der Regel wünschen sie den Charakteren einer Geschichte (zumindest, wenn die Sache mit der Empathie klappt) das Beste.


Die Figuren scheitern lassen


Dieser Punkt ergibt sich aus dem vorhergehenden. Eine gute Möglichkeit, Konflikte eben nicht aufzulösen, ist das Scheitern. Die Figur hat vielleicht einen bestimmten Plan, ihre Problem zu beseitigen und die Leser:innen hoffen bzw. erwarten, dass dieser auch glücken wird. Doch natürlich tut er das nicht. Stattdessen ergeben sich dadurch besser weitere Schwierigkeiten. Dann nimmt die Handlung weiter an Fahrt auf.


Die richtige Fallhöhe wählen


Und wenn wir schon beim Scheitern sind: Das darf ruhig in großem Stil vonstatten gehen. Ist die Romanfigur beispielsweise eine Herzogin, verliert an Ansehen und wird dadurch zur Gräfin degradiert, kann das durchaus Spannung erzeugen. Denn mit diesem Verlust von Macht muss sie erst einmal klarkommen. Aber stellt euch einmal vor, die Figur ist eine Königin und verliert alles: Sie wird zur Bettlerin. Das ist wirklich dramatisch. Es erzeugt also auch Spannung, den Einsatz für die Figuren zu erhöhen und sie mehr verlieren zu lassen. Seid also nicht zu nett zu ihnen. Quält sie.


Beziehungen entwickeln


Beziehungen sind interessant. Das liegt sicher daran, dass sie oft mit Konflikten einhergehen. Ein Grund dürften aber auch bestimmte Erwartungen sein, die Leser:innen an solche Konstellationen knüpfen. Wie oder ob diese Erwartungen schließlich erfüllt werden, kann Spannung erzeugen. Geht es um Liebesbeziehungen, habe ich das merkwürdige Phänomen beobachtet, dass sich die Rezipient:innen fast immer wünschen, dass die beteiligten Parteien zusammenkommen (vollkommen egal, ob sie tatsächlich zusammenpassen oder einander guttun). Beziehungen zwischen Figuren einzubauen kann somit ebenfalls für das gewisse Etwas sorgen.


Andeutungen einstreuen


Verratet nicht immer alles gleich, das ist nicht notwendig. Und verzichtet definitiv aufs Erklären – nichts ist langweiliger als überflüssige Infodumps. Die Leser:innen sollen die Möglichkeit haben, die Bilder vor dem inneren Auge nach und nach entstehen zu lassen, sich ihre eigenen Gedanken zu machen, zu rätseln, zu interpretieren – und schließlich herausfinden, ob sie sich geirrt oder recht hatten. Natürlich kann man auch den Figuren Informationen vorenthalten, die wiederum die Leser:innen sehr wohl besitzen, sodass sich die Ahnung des kommenden Unheils bereits andeutet. Solche Tricks sind in meinen Augen aber mit Vorsicht zu genießen, weil sie oft zu gewollt wirken und obendrein die Gefahr bergen, dass Perspektivfehler entstehen. Besser ist es, Andeutungen einzustreuen, die erahnen lassen, dass sich hinter einem bestimmten Ereignis oder einer Aussage mehr verbirgt und dass das Ganze noch bedeutsam wird. Bewusst platzierte Leerräume können die Rezipient:innen also bei Laune halten.


Action heißt nicht Spannung


Viele assozieren "Spannung" gerne mit Actionszenen. Das halte ich für einen Trugschluss. Was habe ich schon für langweilige Actionszenen gelesen, in denen wirklich nichts passiert ist, das nicht erwartbar gewesen wäre. Tatsächlich habe ich an solchen Stellen schon oft einfach weitergeblättert und das Buch ist stark in meiner Gunst gesunken. Es geht also nicht nur darum, dass ständig etwas passiert und es muss auch nicht rasant passieren. Ein ruhiger Dialog, der nur so trieft von Missverständnissen, kann viel spannender sein als ein Zweikampf auf Leben und Tod, bei dem der Ausgang jedoch von vornherein klar ist.


Erwartungen brechen


Doch natürlich können Actionszenen trotzdem spannend sein: und zwar dann, wenn mit den Erwartungen der Leser:innen gespielt wird, wenn diese sich eben nicht erfüllen. Dass Figuren es nicht schaffen, die Konflikte zu lösen, dass sie scheitern, ist deswegen interessant, weil die Leser:innen mit dem Gegenteil gerechnet haben. Und dieses Prinzip lässt sich natürlich auch in anderen Kontexten anwenden. Vielleicht sind auch die Schauplätze, auftretenden Nebenfiguren oder erreichten Ziele der Charaktere nicht so wie erwartet: Der Sonnenwald ist womöglich ein finster-gruseliges Loch. Der Herr des Lichts entpuppt sich als fieser Schurke. Die ehrenvolle Position des ersten Beraters des Königs ist in Wirklichkeit eine Falle. Derartige Überraschungen bewegen die Leser:innen im besten Fall emotional – und bringen sie dadurch dazu weiterzulesen.


Wenn ich eine Handlung entwickle, zeichne ich sie gerne als Linie auf: das Verhältnis von positiven und negativen Ereignissen im Leben der Figur in Relation zum Zeitverlauf. Ist die Linie zu gerade, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es ziemlich langweilig ist, sich auf ihr zu bewegen. Hat die Linie hingegen Berge und Täler, dann bedeutet das, dass auch wirklich etwas passiert. Manche nutzen, um solche Spannungsbögen zu erzeugen, auch vorgegebene Plotstrukturen. Das kann hilfreich sein, ist jedoch nicht immer notwendig. Wichtig ist, sich klar zu machen, wie solche Schablonen funktionieren – dann ist es auch einfach, sie zu modifizieren. Und sie funktionieren, weil sie auf Dynamik setzen. Denn Spannung bedeutet bei Texten Bewegung.



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