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Von anmutigen Elfen und trunkenen Zwergen – Völker in der High Fantasy

Unter dem Begriff "High Fantasy" stellen sich viele tolkieneske Welten voller Elfen, Zwerge und Orks vor. Viele Völker mit ihren jeweiligen Attributen auszuarbeiten, scheint hier stilprägend zu sein. Welche Ansätze es dabei gibt und inwiefern High Fantasy überhaupt viele Völker braucht, untersuche ich in diesem Artikel.


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Würde Tolkien ohne Elben, Zwerge und Hobbits funktionieren? Wahrscheinlich nicht. Die Konflikte zwischen den jeweiligen Völkern gehören auch zur Handlung und die einzigartige Kultur, die sie jeweils repräsentieren, macht sicherlich einen Teil des Reizes des Weltentwurfs aus. Das muss jedoch nicht heißen, dass sich moderne High Fantasy von dieser Tradition nicht lösen darf.


Tolkien und die Völker der High Fantasy


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Inspiriert von nordischer und keltischer Mythologie hat J. R. R. Tolkien die ersten High-Fantasy-Bücher überhaupt geschaffen und dadurch den Grundstein für das Genre gelegt. Wer an klassische Fantasy denkt, denkt an Elben, Zwerge und Orks ebenso wie an magische Artefakte, epische Quests und dunkle Herrscher. Kein Wunder, dass Tolkiens Entwurf nur allzu oft kopiert wurde.


Und auch in Pen-&-Paper-Rollenspiele wie "Dungeons and Dragons" hat er Einzug gefunden – was die Verbreitung und Popularität natürlich noch einmal verstärkt hat.


Dass sich viele Fantasy-Autor:innen auf diese Wurzeln besinnen, ist vollkommen nachvollziehbar und hat auch seine Berechtigung. Allerdings muss man festhalten, dass immer derselbe Weltentwurf (mit immer demselben Plot) auch allzu schnell langweilig wird. Die Herausforderung ist deshalb, neue Aspekte hinzuzufügen bzw. das Bekannte mit originellen Ideen anzureichern. Sind Orks vielleicht gar nicht so böse und Elfen vielleicht gar nicht so anmutig? Leben Zwerge vielleicht doch oberirdisch und widmen sich mehr der Dichtkunst als dem Schmieden?


Wie stark jedenfalls die Spuren sind, die Tolkiens Bücher im Genre High Fantasy hinterlassen haben, zeigen Buchreihen wie "Die Elfen" und Folgebände oder "Die Zwerge" und Folgebände – beide Reihen dürfen inzwischen selbst als Klassiker gelten.


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In Markus Heitz' "Die Zwerge" werden die Zuschreibungen aus Tolkiens Büchern weiter ausgestaltet: Die Zwerge leben in (teilweise) unterirdischen Städten und haben eine besondere Neigung zur Schmiedekunst. Es gibt Elben, Orks, Gnome und – das ist neu – das böse Pendant zu den Elben, die Albae. Auch dieses Volk bedient sich einer mythologischen Grundlage: Elben, Alben oder Elfen (diese Variante des Wortes kommt aus dem Englischen) sind in der Mythologie und im Aberglauben eben nicht gut, sondern Plagegeister bzw. Dämonen. Deswegen enthält auch das Wort "Albtraum" den Namensbestandteil "Alb": Wen ein schlechter Traum plagt, der wurde im Volksglauben von einem Nachtalben heimgesucht, der auf der Brust saß und Schlafenden die Luft abdrückte. Im Kern werden hier also Tolkiens Ideen aufgegriffen, vertieft, aber auch variiert.


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Im Universum rund um Bernhard Hennens und James A. Sullivan "Elfen" spielen die namensgebenden Geschöpfe die Hauptrolle. Die Zuschreibungen beziehen sich dabei klar auf Tolkien: Die Elfen sind nicht dämonisch, sondern schöne, unsterbliche Wesen, die nach Ästhetik und Perfektion streben. Klassischerweise leben in der dargestellten Welt auch Zwerge. Anstelle von Orks gibt es lediglich Trolle (die ja aber auch schon von Tolkien bekannt sind, nämlich aus "Der kleine Hobbit"). Hinzu kommen weitere Fabelwesen wie Faune, Kentauren, Selkies und Apsaras. Hier verfolgt Hennen (der nach dem Anfangsband die angelegte Welt in einer Vielzahl weiterer Romane ausgebaut hat) die Pfade, die bereits Tolkien beschritten hat, weiter: Während bei Tolkien andere Mythologien wie beispielsweise die keltische oder die griechische noch eine subtilere Rolle hinter der germanischen bzw. nordischen spielten, ist das Elfenuniversum mit Geschöpfen verschiedenster Mythologien besiedelt, bis hin zur indischen (Apsaras).


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Jenny-Mai Nuyens "Die Töchter von Illian" variiert die Thematik erneut. Während die Elfen hier noch weitgehend klassische Zuschreibungen besitzen, gibt es bei den Zwergen große Abweichungen. Eine geringe Körpergröße wird nicht thematisiert. Elfen, Zwerge und Menschen besitzen alle dieselbe Abstammung und gehen auch untereinander romantische Beziehungen ein. Die zwergische Vorliebe für Schmiedekunst und unterirdische Bauwerke wird höchstens angedeutet. Vor allem aber entsprechen die Zwerge nicht den klischee-männlichen Zuschreibungen, mit denen sie sonst gerne bedacht werden (nämlich, dass sie die ganze Zeit Bier saufen, Hämmer schwingen, derbe Witze grölen und extrem haarig sind). Im Gegenteil haben hier in der Zwergengesellschaft Frauen das Sagen und Zwerge gelten ganz allgemein als anmutiger und kultivierter als die anderen Völker.


Dadurch, dass manche Aspekte bekannt sind (die Elfen leben naturverbundener und sind besonders zauberkundig, die Zwerge haben eine Höhlenstadt errichtet und besitzen im Gegensatz zu den Menschen die Technologie der Metallverarbeitung), werden die Leser:innen mit Vertrautem abgeholt. Das macht es überhaupt erst möglich, die Zuschreibungen so zu verändern, dass das Konzept Zwerge-Elfen-Menschen überhaupt noch glaubwürdig wirkt. In gewisser Weise folgt der Roman also durchaus Tolkien nach – und stellt dabei gleichzeitig Vieles auf den Kopf. Müsste ich eine Zielgruppe für den Roman ausmachen, würde ich vielleicht sagen "Das ist Tolkien für Frauen".


Andere Fabelwesen als Grundlage für Völker


Hennens Elfenuniversum ist wie gesagt von verschiedenen Fabelwesen aus verschiedenen Mythologien bevölkert. Den Ansatz, sich vom tolkienesken Kanon zu lösen, gibt es natürlich auch in anderen Romanen. (Nicht zu vergessen ist dabei sicherlich, dass auch C. S. Lewis' "Die Chroniken von Narnia" mit seinen Wesen wie Faunen oder Zwergen eine wichtige Inspirationsquelle für moderne Fantasy darstellt.)


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Lee Young-Do aber greift in seiner Reihe "Die Legende vom Tränenvogel" auf die asiatische Mythologie zurück. Dazu gehören Lekons (Vogelkrieger), Dobekis (Feuerkobolde) und Nagas (Schlangenwesen aus dem Dschungel), die neben Menschen die Welt bevölkern. Der Autor selbst stammt aus Südkorea und so darf es kaum verwundern, dass er sich als Grundlage für sein Worldbuilding eben nicht für die europäischen Mythologien entschied. Man könnte die im Dschungel lebenden, naturliebenden und beinahe unsterblichen Nagas vielleicht als Pendant zu Tolkiens Elben sehen. Im Gegensatz zu diesen wird die Schlangennatur der Nagas jedoch immer wieder betont: Sie sind wechselwarm und könnten in kalten Regionen nicht überleben. Dadurch entstehen ungewöhnliche neue Konflikte im Roman. Lee Young-Dos Entwurf schafft also nicht nur eine ungewöhnliche Atmosphäre, sondern erzeugt auch ungewöhniche handlungsrelevante Dynamiken. Der Roman hat nur noch insofern etwas mit Tolkien zu tun, als dass es auch Fantasyvölker und eine reisende Heldengruppe gibt.


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In der Romantasy sind zurzeit Feen oder Fae als Volk ein Trendthema. Das prominenteste Beispiel dürfte "Das Reich der sieben Höfe" von Sarah J. Maas sein. Egal, ob man die Reihe nun schätzt oder nicht, muss man doch anerkennen, dass Feen hier als Fantasyvolk gut gewählt sind: Traditionell wird Feen eine erotische Anziehungskraft zugeschrieben, in vielen Märchen verführen sie Menschen. Für eine Reihe, die sexuelle Erfahrungen umfassend thematisiert, ist das Feenvolk deshalb gut gewählt. Zudem haftet den Feen etwas Zauberhaftes an, sie leben in ihrer eigenen glitzernden und magischen Welt, die gleichzeitig aber auch gefährlich, vor allem für Menschen ist. Das unterscheidet sie von beispielsweise Vampiren, die eher mit Düsternis und Nacht verknüpft sind. Auch wenn diese ebenfalls oft mit Erotik in Verbindung gebracht werden, hätten sie in diesem Kontext nicht so gut funktioniert. Und Elfen, die den Fae aus der Romanreihe in gewisser Weise ähneln, sind inzwischen doch zu sehr mit Tolkien verbunden und das Motiv der Verführung ist hier nicht grundgelegt.


"Das Reich der sieben Höfe" ist damit ein gutes Beispiel dafür, wie man die klassischen Zuschreibungen bestimmter Fabelwesen für ein modernes Fantasysetting nutzbar machen kann. Denn wären die Fae aus dem Roman stattdessen sexy Zwerge gewesen, dann, so bin ich mir sicher, hätten die Bücher nicht denselben Hype entfacht.


Völker und Magievorstellungen


Zwerge, Elfen und andere Fabelwesen sind ein Klassiker. Ebenfalls gängig ist es, Völker im Zusammenhang mit bestimmten Magievorstellungen zu entwickeln, beispielsweise Elementarmagie. Hier werden Wesen den vier Elementen Wasser, Feuer, Erde und Luft zugeordnet und in einem dazupassenden Setting platziert.


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Das passiert unter anderem in Martina Volnhals' "Lichtburg-Chroniken". Hier gibt es Wassermenschen mit Schuppen, Erdmenschen, die manchmal in Bäumen leben, und Himmelsmenschen mit Flügeln. Die Feuerwesen sind Zwerge – dabei wird jedoch nur wenig auf die von Tolkien etablierten Muster referiert (sieht man davon ab, dass Feuer bei einem Schmiede-Volk sehr naheliegt). Natürlich beherrschen die unterschiedlichen Völker im Roman auch die ihrem Element zugeordnete Magie, können also beispielsweise Wasser oder Wind bewegen, Flammen erzeugen oder Pflanzen wachsen lassen. Damit werden die dargestellten Völker eng mit dem Setting verwoben – und auch mit dem Plot. Die strenge Zuordnung der Menschen zu ihrem jeweiligen Element erzeugt Klassenunterschiede und Rassismus. Ohne die Darstellung verschiedener Ethnien, die in einem High-Fantasy-Setting eben zu magischen Völkern umgewandelt werden, würde die Handlung entsprechend nicht funktionieren.


Von der Natur inspirierte Völker


Können Steine vielleicht atmen? Kann Wasser vielleicht in eine lebendige Form fließen? Kann Feuer sprechen? Hier denkt man schnell an die Idee von Elementaren, die gerne durch Fantasysettings geistern: Kreaturen aus erweckter Erde wie Golems, manchmal mit eigenem Willen, manchmal nicht. Doch die Natur als Grundlage für Völker zu nehmen, geht über die Idee von Elementarmagie hinaus. Interagieren Pflanzen vielleicht viel mehr miteinander als wir denken und haben ihre eigene Kultur? Und wie ist es mit Pilzen?


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In Gipfelbasilisks "Myzel-Chroniken" stehen Pilzwesen im Mittelpunkt. Sie nehmen die Rolle ein, die in anderer Fantasyliteratur oft klassische Fabelwesen haben, besitzen im Gegensatz zu diesen jedoch keinen mythologischen Hintergrund. Die Inspiration liefert die Natur selbst und das sehr spezifisch: Wer weiß, was ein "Myzel" ist, kennt sich schon ein bisschen besser mit Pilzen aus als die meisten Leser:innen (und wer es nicht weiß, braucht sich deswegen auch nicht zu schämen). Der Entwurf für die Pilzwesen basiert also auf konkretem biologischen Wissen und wurde dann weitergedacht. Die Reihe beweist, dass nicht immer Magie die Grundlage für High Fantasy sein muss, sondern dass Inspiration auch an anderen Orten zu finden ist.


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Weniger exotisch geht es bei Tiervölkern zu. Es fällt uns sicher leichter, uns eine Kultur unter intelligenten Tieren vorzustellen als unter intelligenten Pilzen. In Olivers Plaschkas "Das Licht hinter den Wolken" gibt es neben einer Art Elfen und Faunen auch Katzenmenschen. Man kann also zunächst festhalten, dass wir es hier mit einem Mix zu tun haben aus Tolkien-Völkern, anderen Fabelwesen-Völkern und Tiervölkern. Die Faune und Elfen stehen dabei prominenter im Mittelpunkt als die katzenartigen Timei, die mehr dem Worldbuilding als der Handlung dienen. Denn dass eine möglichst bunte Ausgestaltung der Fantasywelt zum Konzept mit dazu gehört, merkt man dem Roman an: an vielen Textstellen geht es darum, eine einprägsame Atmosphäre zu erzeugen, und nicht um Spannung. Der Vorteil der Katzenwesen ist dabei: Sie sind ungewöhnlicher als Elfen und Co., gleichzeitig aber trotzdem bekannt und damit nicht so überraschend, dass sie für Irritation bei den Leser:innen sorgen könnten. Denn gerade in der Fantasykunst oder in Fantasyvideospielen kommen Katzenvölker häufig genug vor.


Führen Autor:innen andere Tiervölker ein, ist natürlich genau das zu bedenken: Katzen-, Fisch-, Vogel- oder Echsenwesen sind Klassiker, mit denen die Leser:innen vielleicht schon einmal in Berühung gekommen sind und die sie folglich auch leichter abkaufen. Kreiert man nun aber beispielsweise ein Hamstervolk, wird es deutlich mehr Aufwand sein, dieses dem Publikum plausibel zu machen. Das braucht Platz: Deswegen geht ausschweifendes Worldbuilding letztlich immer zu Lasten der Spannung. Das muss aber nicht unbedingt ein Nachteil sein: Viele Leser:innen schätzen Fantasyliteratur auch genau deswegen und sind bereit, sich diese Zeit zu nehmen. Wichtig ist hier also, die eigene Zielgruppe zu kennen.


Erfundene Völker ohne bekannte Bezüge


Unabhängig von Mythologie und Magie gibt es in der High Fantasy auch den Ansatz, eigene Völker zu kreieren. Der Spielraum dabei ist natürlich groß – das Risiko auch. Denn es ist einfacher, sich auf den Leser:innen Bekanntes zu stützen, als sie neben neuen Figuren, Weltentwürfen, Kulturen und Religionen auch noch mit neuen Biologien vertraut zu machen.


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In Brian Staveleys "Der verlorene Thron" gibt es neben den Menschen die Csestriim, die zwar wie Menschen aussehen, sich aber in ihrem Denken, Fühlen und Handeln deutlich von ihnen unterscheiden. Denn die Csestriim besitzen keine Emotionen und sind mehr oder weniger unsterblich. Das macht sie zu mächtigen Feinden und einer Bedrohung für die Menschen – vor allem auch deshalb, weil sie sich einfach unter Menschen bewegen können, ohne aufzufallen, wenn sie es richtig anstellen. Dass dieses Volk im Roman eingeführt wird, ist also klar dem Plot geschuldet, der ohne die Csestriim nicht funktionieren würde. Festhalten können wir dabei: Die Csestriim sind in ihrer Biologie wenig außergewöhnlich. Sind neue Völker doch sehr menschenähnlich, sind sie für Leser:innen auch einfach vorstellbar. Die Csestriim beispielsweise weichen körperlich kaum ab, lediglich in ihrem Denken und Fühlen.


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In Daniel Hanovers "Dolch und Münze" ist die Menschheit in dreizehn Rassen unterteilt, die sich durch körperliche Merkmale wie aufgerichtete Ohren, Chitinpanzer oder Hauer unterscheiden. Diese dreizehn Völker mögen in gewisser Weise originell sein – ich konnte jedoch nicht erkennen, dass sie tatsächlich etwas zur Geschichte beitragen. Es mag optische Unterschiede geben, doch die Figuren agieren alle wie Menschen, völlig unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu einem bestimmten Volk. Die Vielzahl – dreizehn verschiedene Rassen! – sorgte während des Lesens eher für Verwirrung. Das liegt auch daran, dass diese Völker alle Neuschöpfungen sind, Leser:innen also nicht auf verbreitetes kulturelles Wissen (wie eben Mythologie) zurückgreifen können. Wenn in Hennens Elfenuniversum Menschen, Elfen, Trolle, Zwerge, Faune, Kentauren, Kobolde und mehr vorkommen, ist das kein Problem, weil man all diese Fabelwesen nicht ausführlich erklären muss. Bei Eigenkreationen ist das jedoch anders. Obwohl ich den Roman "Dolch und Münze" grundsätzlich nicht schlecht fand, würde ich die Vielzahl der Völker hier eher als störend betrachten. In meinen Augen haben wir es hier mit einem überflüssigen Schnörkel im Worldbuilding zu tun – und ich bin grundsätzlich dafür, Überflüssiges entschlossen zu streichen.


Braucht High Fantasy viele Völker?


Für viele scheint es gesetzt, dass High Fantasy eine Vielzahl von Völkern braucht. Tatsächlich liest man genau das in so mancher Definition des Genres. "fremdartige Wesen, Völker und Ungeheuer" nennt beispielsweise die Wikipedia als zentrale Elemente des Genres. Tatsächlich gibt es jedoch eine Vielzahl moderner High-Fantasy-Romane und Reihen, die ohne dergleichen auskommen. Viele Völker sind genauso wenig Pflicht wie abenteuerliche Questen, Prophezeiungen und der Kampf zwischen Gut und Böse. Welche Gründe gibt es also für die Einführung verschiedener Völker?


Sie dienen der Atmosphäre


Würden Reihen wie "Die Zwerge" oder "Die Elfen" ohne Zwerge und Elfen funktionieren? Wahrscheinlich nicht. Beide Reihen trendeten in Zeiten der "Herr der Ringe"-Verfilmungen und dem damit einhergehenden Hype. Zentrale Elemente aus Tolkiens Worldbuilding aufzugreifen, war also sicher eine bewusste Entscheidung und so stellen sich die Bücher in ebenjene Tradition.


Wer ganz gezielt solche Assoziationen wecken möchte, wird sich beim eigenen Roman also auch solcher Narrative bedienen. Mit dieser Intention ist das sinnvoll. Die Gefahr dabei ist jedoch: Diese Pfade sind inzwischen ausgetreten. Ist Tolkien noch interessant genug für endlose Weiterführungen und Variationen seines Werkes? Diese Frage sollte man sich in diesem Zusammenhang auf jeden Fall stellen.


Sie verändern den Plot


In einigen meiner genannten Beispiele bringen die jeweiligen Völker spezifische Eigenheiten mit, ohne die der Plot nicht funktionieren würde. In "Das Blut der Herzlosen" ist es ganz entscheidend, dass Nagas als wechselwarme Wesen Kälte kaum ertragen können. In "Blutrote Schwingen" repräsentieren die Völker das Magiesystem, um das es geht. Der Konflikt in "Der verlorene Thron" entsteht nur durch die Gefühlskälte und Rationalität der Csestriim, die sie so gefährlich machen. Und "Myzel-Chroniken" ohne Pilze? Das wäre wohl eine Themaverfehlung.


Es kann also durchaus interessant sein, nicht aus der Sicht von Menschen zu schreiben, weil dadurch ungewöhnliche Spannungsfelder und Konstellationen entstehen, die einen Romanentwurf durchaus bereichern können.


Können Völker auch einen Selbstzweck haben?


"Dolch und Münze" ist wie oben angemerkt ein Beispiel für Völker, die weder auf eine bestimmte Erzähltradition anspielen noch tatsächlich zum Plot beitragen. Der Roman würde auch funktionieren, wenn alle Figuren einfach nur Menschen wären. Der Autor hat sicher Kreativität bewiesen – aber sind Völker das richtige Mittel, sie zum Ausdruck zu bringen? Ein guter Roman braucht gute Charaktere – und in vielen Fällen ist es vollkommen egal, zu welchem Volk diese gehören.


Insofern beantworte ich die Frage "Braucht es in der High Fantasy überhaupt Völker?" entschieden mit: Nein. Es kann Vorteile haben, Völker in den Weltenentwurf einzubinden. Es kann jedoch ebenfalls Nachteile haben. Wer sich für die Völker entscheidet, sollte dies nicht tun, weil es die Tradition zu verlangen scheint, sondern weil es den Roman tatsächlich besser macht. Dass ein Volk einfach cool ist, reicht in meinen Augen als Rechtfertigung nicht aus.


Aber letztlich gilt das ja ohnehin immer beim Schreiben: Alles ist erlaubt – solange man weiß, was man tut.



2 Kommentare


Gipfelbasilisk
24. Sept.

Uhh, danke für diesen spannenden Beitrag. Ich verstehe dein Fazit: Das nichtmenschliche Wesen, wenn sie keinem Zweck dienen, der plotrelevant ist, und einfach durch Menschen ausgetauscht werden könnten, einem im Weg stehen können und es sollte gut überlegt werden, ob sie verwendet werden oder nicht. Bei meinem aktuellen Projekt, was ich im November fertigschreibe, bin ich da tatsächlich am Überlegen. Da wird es noch überbordender in der Diversität der Wesen. Ich bin da sehr mit mir am Ringen, inwieweit ich noch fantastischer werde in der Ausgestaltung. Ich habe da ein, zwei drin. Die cool sind und noch keine richtige plotrelevante Funktion übernehmen. Ja, sie haben ’ne besondere Fähigkeit, aber nichts, was ich jetzt nicht mit einem Menschen mit Werkzeug lösen…

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Kornelia Schmid
25. Sept.
Antwort an

Ich denke, wenn diese Wesen insofern für das Worldbuilding relevant sind, als dass sie für die Atmosphäre zentral sind, haben sie auch ihre Daseinsberechtigung. So sehe ich das zumindest bei Plaschkas "Das Licht hinter den Wolken". Der Plot hätte auch ohne Katzenwesen funktioniert. Aber dass es in dieser Welt auch Katzenwesen gibt, macht sie fantastischer. Man muss nur aufpassen, dass man sich im Worldbuilding nicht komplett verliert, sodass es Plot, Figurenausgestaltung etc. überlagert.

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