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Wispernde Blätter. Oder: Wie beschreibt man Natur in Fantasyromanen?

Autorenbild: Kornelia SchmidKornelia Schmid

Nicht nur in Fantasyromanen können Naturbeschreibungen einen Text lebendiger gestalten. Aber gerade in der High Fantasy wandern die Protagonist:innen oft genug durch Landschaften – wie man diese bildhaft darstellt, zeige ich hier.


Schreibtipps Schreibratgeber Autorentipps Roman schreiben

Eine Zeit lang habe ich viel mit Acrylfarbe auf Leinwänden gemalt. Dabei hatten es mir Landschaften angetan. Die wichtigste Erkenntnis, die ich dabei gewonnen habe, war, dass das, was wir glauben zu sehen, nicht immer das ist, was wir tatsächlich sehen. Oder anders gesagt: Ist Gras denn wirklich immer grün? Wir lernen diese vermeintliche Wahrheit schon als Kinder und dürften sie kaum mehr hinterfragen. Aber wer im Licht des Sonnenuntergangs eine Wiese betrachtet, wird feststellen, dass Gras durchaus nicht grasgrün sein muss. Meine Bilder wurden besser, als ich Gras orange oder lila gemalt habe.


Natur mit dem Pinsel zu malen und Natur mit Worten zu beschreiben sind zwei Ausdrucksformen, die nahe beieinander liegen. Auch beim Schreiben muss man sich von starren Zuschreibungen lösen und hinterfragen, was man denn da wirklich wahrnimmt bzw. wie die Wahrnehmung der Protagonist:innen ist. Und so muss auch in einem Text Gras nicht grün sein, ganz im Gegenteil.


Alles voller Sonnenuntergänge


Apropos Sonnenuntergänge: Dass gelbes oder rotes Licht die Farben der Landschaft verändert, kann man sich beim Schreiben zunutze machen. Denn genau wie auf einer Bühne oder im Film wirkt eine bestimmte Szene ganz unterschiedlich, je nachdem, welches Licht auf sie fällt. Vielleicht überlegt ihr euch also, ob eine bestimmte Szene besser morgens oder doch mittags spielen soll. Es gibt nur eine Gefahr: Zu viel Sonnenuntergangsrot wirkt schnell übertrieben dramatisch und damit kitschig. Wägt deshalb genau ab, welches Licht ihr wann einsetzt. Das gilt übrigens genauso fürs Wetter: Es kann sehr viel zur Atmosphäre einer Szene beitragen – aber für mehr Dramatik einen Sturm tosen zu lassen, kann schnell abgedroschen erscheinen. Solche Darstellungen liegen einfach zu nahe und es gibt sie viel zu häufig.


Doch lassen wir die veränderlichen Umweltbedingungen einmal außen vor. Mehr dazu, wie sie zur Atmosphäre beitragen können, lest ihr hier: https://www.kornelia-schmid.de/post/wie-erzeugt-man-in-romanen-atmosphaere. In diesem Artikel soll es um die Details gehen.


Atmosphäre bewusst wahrnehmen


Wann wart ihr das letzte Mal im Wald spazieren? Was ist euch aufgefallen? Und jetzt sagt bitte nicht "nichts". Denn ein Wald ist nicht einfach nur ein Wald. Er schäumt über vor Sinneseindrücken. Wir sind an sie gewöhnt, deswegen blenden wir sie gerne aus. Wer schreibt, sollte sich jedoch die Zeit nehmen, sie bewusst zu erfahren – denn wie soll man etwas beschreiben, das man gar nicht bemerkt hat?


Kleine Schreibübung: Wie riecht der Wald? Notiert alles, was euch einfällt, möglichst präzise. Ich mache mit. Auflösung nach den Punkten.


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Es ist Herbst: Der Boden ist feucht, deswegen riecht es leicht modrig. Man kann außerdem die aufgeweichte Erde und das Moos, das an den Steinen klebt, erschnuppern. Dass bereits Pilze wachsen, kann man ebenfalls wahrnehmen: Sie haben diesen schwer zu benennenden, vielleicht säuerlich-muffigen Geruch. Es wurden Bäume gefällt und aufgeschichtet. Das feuchte Holz riecht, vor allem nach Harz. Ein Waldweg führt in die Nähe einer Straße. Dort treiben Abgase von Autos durch die Luft. Ein Baum mit überreifen Äpfeln steht am Waldrand. Sie verströmen einen faulig-süßlichen Duft.


Ihr seht, es gibt genug zu sagen über den Herbstwald – und das waren nur die Gerüche! Wenn wir mit dem, was wir sehen, hören und auf der Haut spüren genauso verfahren, steht uns eine breite Palette an Eindrücken zur Verfügung, derer wir uns bedienen können. Beobachtet doch einmal, wie das Licht zu verschiedenen Tageszeiten durch das Blätterdach fällt oder lauscht, welche Laute die vielen Tiere um euch herum verursachen.


Mit Details verschiedene Sinne ansprechen


In der Realität nehmen wir die Atmosphäre um uns herum – mehr oder weniger bewusst – mit allen Sinnen wahr. Warum also sollte das in Texten anders sein? Viele Autor:innen beschreiben in erster Linie die Eindrücke, die ihre Protagonist:innen über die Augen erhalten. Dabei ist das nur ein kleiner Teil der Sinneserfahrung. Geräusche, Gerüche und Tastsinn gehören absolut dazu.


Damit eine solche Beschreibung eine Wirkung entfaltet, ist es entscheidend, möglichst präzise zu sein. Also nicht schreiben: Es roch nach Wald. Besser schreiben: Es roch nach feuchtem Moos und dem harzigen Bluten frisch gefällter Bäume. Die zweite Variante erzeugt viel intensivere Bilder als die erste. Denn wenn die meisten Leute an "Wald" denken, haben sie lediglich ein diffuses Gemälde im Kopf. Aber "Moos" und "gefällte Bäume"? Das weckt sehr viel deutlichere Erinnerungen – es sind die feinen Pinselstriche in der Fantasie.


Nach Stimmung auswählen


Nun wahllos alle Sinneindrücke auf der Tastatur niederzuhämmern, die einem einfallen, ist nicht unbedingt die beste Idee. Hinter jeder Szene sollte eine bestimmte Konzeption stehen. Für Autor:innen bedeutet das: Filtern ist angesagt. Welche Sinneseindrücke unterstreichen diese Konzeption und welche sind hinderlich? Ist die Szene düster und unheimlich, dann spielen vielleicht flackernde Lichter und Geräusche unbekannten Ursprungs eine stärkere Rolle, während wir den zarten Duft der Frühlingsblumen ausblenden. Ist die Szene romantisch, passen eher Sonnenstrahlen und die Wärme, die sie auf der Haut hinterlassen, und weniger der Gestank von Gülle, der vom nahen Feld herbeiströmt.


Zu ausufernde Beschreibungen verfolgen zudem oft eher einen Selbstzweck, als tatsächlich der Szene dienlich zu sein. Entsprechend langweiligen sie Leser:innen schnell und führen dazu, dass auch mal überblättert wird. Es gilt also wie so oft: Die Dosis macht das Gift.


Neue Eindrücke kreieren in Fantasyromanen


Fantasy Roman schreiben Worldbuilding Fantasywelten entwerfen

Wer einen realen Wald beschreiben will, muss dazu nicht aus der Fantasie schöpfen, sondern kann sich einfach zwischen die Bäume auf eine Bank setzen und dokumentieren. In Fantasywelten werden Landschaften oft magisch aufgeladen. Dabei ist es notwendig, die Sinneseindrücke zu modifizieren. In "Das Licht aus dem Nebel" treiben leuchtende Geister ihr Unwesen. Wenn sie im Wald auftauchen, gibt es deshalb nicht nur natürliches Licht, sondern auch violettes oder blaues Glühen, das die wahrgenommene Landschaft verändert. Auch die Sinneseindrücke variieren, wenn Figuren beispielsweise magisch begabt sind. In meiner Trilogie können Menschen Magieströme spüren. Die Magie zeigt sich manchmal durch ein Vibrieren oder Summen in der Luft, das sich mit den natürlichen Eindrücken der Landschaft vermischt. Wenn ihr Fantasylandschaften beschreibt, spielt also ruhig mit solchen Elementen: Vielleicht tauchen Farben, Gerüche oder Geräusche an Orten auf, an denen man sie nicht erwarten würde. Und womöglich haben sie sogar eine andere Bedeutung: In einem Fantasyroman wispern die Blätter manchmal nicht nur metaphorisch, sondern ganz real.



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