Der erste Teil ist gut – die Fortsetzung fast immer schlechter? Woran liegt das? Denn klar ist: Das muss nicht so sein. Unter welchen Voraussetzungen Fortsetzungen funktionieren können und unter welchen nicht, analysiere ich in diesem Artikel.
In der Fantasy sind Fortsetzungen beliebt – gerade in der High Fantasy schon fast ein Muss. Denn die Leser:innen erwarten epische Länge. Oder aus Autor:innensicht: Warum die detailreich konzipierte Fantasywelt nicht weiterverwenden – wäre sonst doch schade drum! Das kann funktionieren, wenn man ein paar Dinge beachtet.
Als Mehrteiler geplant
"Das Licht aus dem Nebel", "Das Licht im Sand" und "Das Licht hinter dem Wind" waren ursprünglich einmal ein einziger Band unter einem anderen Titel, unterteilt in mehrere Zeitabschnitte. Wer die Romane kennt, wundert sich vielleicht, wie das funktionieren kann – nun ja, es hätte in der Urversion funktioniert, wenn man wirklich einen 1500-Seiten-Wälzer hätte herausbringen wollen. Da innerhalb des Textes aber ohnehin drei Zeitsprünge vorgesehen waren, war es definitiv sinnvoll, ihn in drei Bände aufzuteilen. Statt einem Roman habe ich nun eine Trilogie geschrieben. Und die Teilung hat auch dem Text gutgetan: So konnte ich vieles besser ausgestalten.
Ähnlich abgelaufen ist es bei einem berühmteren Vertreter des Genres: J. R. R. Tolkien hat seine drei "Herr der Ringe"-Bände wohl auch als einen einzigen Roman betrachtet. Aufgrund des Umfangs hat der Verleger jedoch entschieden, mehrere Bände herauszubringen.
Ist also eine Romanhandlung von Anfang an vollständig durchgeplant und anhand des Umfangs ersichtlich, dass mehrere Bücher sinnvoller sind als nur eines, werden die Fortsetzungen aller Wahrscheinlichkeit nach ausgezeichnet funktionieren.
Natürlich gibt es auch die Situation, dass eine Autor:in von vornherein eine bestimmte Anzahl an Bänden plant – zu diesem Zeitpunkt die Handlung jedoch nicht bis ins Detail ausgearbeitet hat, sodass der Umfang eigentlich nicht vernünftig einschätzbar ist. Trotzdem wird bereits eine bestimmte Zahl an zu erscheinenden Bänden festgelegt. Das kann schnell in die Hose gehen. Denn manchmal braucht der Plot dann eben doch nicht so viel Platz und um auf den festgesetzten Umfang zu kommen, müssen viele Lückenfüller-Kapitel oder zusätzliche Handlungsstränge eingebaut werden, die den Text unnötig verwässern. Einen solchen Eindruck hatte ich beispielsweise bei "Das Lied der Dunkelheit" von Peter V. Brett – eine fünfteilige Reihe, die von Buch zu Buch langatmiger und schwerer zu lesen wird. Kennzeichnend ist hier, dass bekannte Handlungsstränge noch einmal aus neuer Perspektive erzählt werden, was beim ersten Mal noch gewinnbringend sein mag, beim zweiten und dritten Mal aber nicht mehr. Nach Band 4 habe ich abgebrochen. (Wobei ich ehrlicherweise zugeben muss, dass ich dafür auch noch andere Gründe hatte, aber das ist ein Thema für ein anderes Mal.)
Konkret bedeutet das: "Ich schreibe eine High Fantasy Trilogie!" klingt zwar immer toll – bevor man sich jedoch dieses Ziel setzt, sollte man testen und analysieren, ob der Plot überhaupt drei Bände hergibt. Ist das der Fall, nur zu. Ist das unklar, dann sollte man sich nicht auf eine bestimmte Zahl festgelesen – oder einfach detailreicher plotten. Grundsätzlich jedoch gilt: Von vornherein als Mehrteiler geplante Texte haben gute Chancen, auch als Mehrteiler zu funktionieren.
Episoden
Im Bereich "High Fantasy" oder "Epische Fantasy" läuft in Folgebänden die Handlung oft einfach weiter. Sei es bei "Herr der Ringe", "Das Lied von Eis und Feuer" oder auch den "Elfen"-Romanen von Bernhard Hennen. Eine fortlaufende Handlung ist jedoch nicht der einzige Weg, einen Mehrteiler zu schreiben. Unter bestimmten Umständen kann auch bei einer in einem Band abgeschlossenen Handlung eine Fortsetzung funktionieren. Und zwar dann, wenn der Text als Episode aufgebaut ist.
Klassische "High Fantasy" behandelt oft das Schicksal von ganzen Reichen, Völkern oder Welten. Und wenn die Welt erst einmal gerettet ist, was soll dann noch kommen? Eine solches Ende ist eine denkbar schlechte Basis für eine Fortsetzung. Einfach eine neue weltumspannende Bedrohung erfinden? Das wirkt oft wenig glaubhaft und entwertet zudem die Thematik des Vorläuferbandes, indem es die eigentlich so große Gefahr durch eine neue plötzlich relativiert. Das ist in meinen Augen also keine gute Idee. Hier ist man besser beraten, die abgeschlossene Geschichte ruhen zu lassen. Für mich ein Beispiel ist die Reihe "Die Zwerge" von Markus Heitz. Die ersten drei Bände erzählen vom Kampf um das Geborgene Land. Dieser ist nach Band 3 dann auch vorbei, ein angemessenes Ende. Aber dann: Überraschend erscheint ein vierter Band, in dem der tote Held doch wieder zurückkehrt. Und noch weiter: In Band 5 ist der Krieg nun eigentlich wirklich vorbei und schon wieder (zumindest wenn man dem Klappentext glauben darf) kehrt der tote Held für eine neue Bedrohung zurück. Ja, wann ist er denn jetzt endlich mal wirklich tot? Durch solche Konzepte verlieren die einzelnen Bände an Glaubhaftigkeit und Kontinuität. Die Fortsetzungen haben den vorherigen Büchern in meinen Augen also keinen Gefallen getan.
Doch denken wir kleiner: Es wird nicht die Welt gerettet, sondern nur ein Abschnitt im Leben einer Figur erzählt. Dabei handelt es sich am besten nicht um einen Abschnitt, der ihr Leben für immer verändert und dafür sorgt, dass sich die Persönlichkeit weitreichend weiterentwickelt. Denn auch hier gilt: Hat die Figur ihr Leben völlig auf den Kopf gestellt und ist ein neuer Mensch (bzw. ein neuer Elf, ein neuer Zwerg, ein neuer Ork oder was auch immer) geworden, was soll dann noch kommen? Eine weitere Entwicklung zu erfinden, wirkt oft künstlich übergestülpt (was ja auch der Fall ist) und entwertet die vorherige. Der Klassiker dabei ist: In Band 1 entsteht zwischen zwei Figuren eine Beziehung. Damit Band 2 in selber Manier weitererzählen kann, muss die Beziehung an dieser Stelle kaputt sein, um neu entstehen zu können. Sie wird also künstlich zerstört, um das Konzept von Band 1 wiederholen zu können. Versiertes Plotten geht definitiv anders!
Aber sagen wir, die Figur hat sich nicht vollkommen verändert, sondern nur in einem bestimmten Bereich. Dann gibt es durchaus noch andere Bereiche, denen sie sich widmen kann. Dann können neue Herausforderungen und Abenteuer auch eine neue, interessante Handlung darstellen. Denken wir hier zum Beispiel an "Harry Potter": Jedes Schuljahr hat sein eigenes Abenteuer, das danach abgeschlossen ist. In jedem Schuljahr wird der Protagonist ein Jahr älter und entwickelt sich dabei ein bisschen weiter. Dazu gibt es noch eine übergeordnete Handlung um den Erzfeind Voldemort, der am Ende natürlich zurückkehren muss. Erst, wenn er besiegt wird, ist die Entwicklung der Hauptfigur abgeschlossen.
Reihen, bei denen jeder Band nur eine Episode aus dem Leben der Figur erzählt, können also funktionieren. Die Voraussetzung ist, dass jedes Buch einen neuen Aspekt ans Licht bringt und die Handlung dadurch weiterhin interessant macht. Solche Reihen müssen auch nicht von vornherein vollkommen durchgeplant sein. Es ist möglich, jedes neue Abenteuer nach dem Abschluss des vorherigen zu konzipieren.
Prequels und Sequels
Die Figuren haben sich entwickelt und die Welt ist gerettet – muss dann wirklich immer alles aus sein? Nun, für die entsprechenden Figuren und den entsprechenden Zeitabschnitt wahrscheinlich schon. Aber gerade komplexe Fantasywelten bieten oft Potenzial, sie noch ein wenig öfter zu besuchen. Warum nicht einen anderen Zeitabschnitt der Historie beleuchten, dann eben mit anderen Figuren? Warum nicht ein Prequel schreiben, das erklärt, wie sich die Gesellschaft überhaupt erst so entwickeln konnte, wie sie in späteren Bänden dargestellt wurde? Warum nicht ein Stück in die Zukunft gehen und dabei zeigen, wie sich die Welt nach ihrer Rettung weiterentwickelt hat? Wichtig ist dabei, nicht einfach nur die Vorgeschichte erzählen, die in den schon existenten Bänden mehrfach ausgebreitet wurde, denn das wäre aller Wahrscheinlichkeit nach langweilige. Außerdem sollten die Figuren, die im Mittelpunkt stehen, ihr eigenes Entwicklungspotenzial besitzen. Meistens ist das gegeben, wenn man einfach aus der Sicht von neuen Figuren schreibt. Unter Umständen kann es aber auch funktionieren, eine besondere Entwicklung darzustellen, die gzum Zeitpunkt der früheren Bände schon abgeschlossen ist, z.B. wie jemand zum Bösewicht wird. Aber auch hier gilt natürlich: die Leser:innen sollten dabei nicht durch die anderen Bücher schon alles wissen.
Gut funktioniert das beispielsweise bei Brandon Sandersons "Nebelgeborenen-Reihe". Während die ersten drei Bände "Kinder des Nebels", "Krieger des Feuers" und "Held aller Zeiten" den totalen Umbruch einer Welt zeigen, setzt Band 4 "Hüter des Gesetzes" in einer Epoche danach an – die Welt hat sich nicht nur erholt, sondern auch weiterentwickelt und die Figuren sind andere, aber ein Bezug zur Ursprungshandlung ist trotzdem noch erkennbar.
Und natürlich ein Klassiker: Auch "Der kleine Hobbit" erzählt eine relevante Vorgeschichte und setzt dabei eine Generation früher an als der Nachfolger "Herr der Ringe".
Spinn-Offs
Aber die Handlung muss natürlich nicht immer nur davor oder danach spielen. Warum nicht eine ähnliche Zeit wählen, dafür aber einen anderen Abschnitt auf der Landkarte oder aber eine Nebenfigur, über die wenig bekannt ist, zur Protagonist:in machen? Auch dieser Ansatz kann funktionieren, den er vermag genug Neues zu bieten.
Die "Klingen-Romane" von Joe Abercrombie erzählen in den ersten drei Bänden von einem gesellschaftlichen Umbruch. Band 4 "Racheklingen" zieht ebenso wie Band 5 "Blutklingen" in andere Länder derselben Welt, wobei auf die Ereignisse der vorherigen Bücher immer wieder Bezug genommen wird. Band 5 "Heldenklingen" stellt hingegen Figuren in den Mittelpunkt, die vorher eher eine Randnotiz waren und erzählt nun ihre Geschichte.
Entwicklungspotenzial
Worauf läuft es also immer hinaus, ob Fortsetzungen funktionieren oder nicht? Die Ursprungsgeschichte bzw. ihre Charaktere müssen genügend offenes Entwicklungspotenzial besitzen, das eine Fortsetzung lohnend macht. Wenn wie bei geplanten Mehrteilern diese Entwicklung ohnehin auf mehrere Bände ausgelegt ist, ist das Ganze kein Problem. Auch wenn bisher nur bestimmte Facetten beleuchtet wurden, die Figur aber weiteraus mehr zu bieten hat, kann es funktionieren. Ansonsten mag es lohnend sein, eine andere Geschichte in derselben Welt mit anderen Figuren zu erzählen.
Leider wird vielen kommerziell erfolgreichen Projekten, egal ob Buch oder Film, eine Fortsetzung übergestülpt, die sehr offensichtlich ursprünglich nicht intendiert war und entsprechend nicht nur schlecht, sondern im schlimmsten Fall gar nicht funktioniert. Geld mag damit wohl verdient sein, den Schöpfer:innen sollte aber auch klar sein: Damit schaden sie ihrer Geschichte.
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